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Wenn sich Kultur und Kreativität auf ein Bier treffen

(Kultur und Kreativität sitzen in ihrem Stammlokal an ihrem Stammtisch. Die Stimmung ist nicht die beste.)

Kreativität: Zwei Bier bitte!

Kultur: Das hab ich jetzt bitter nötig.

Kreativität: Wem sagst du das! Ich krieg gerade so ziemlich die Krise.

Barkeeper (serviert Bier): Bitteschön!

Kultur: Was? Ist’s bei dir auch so schlimm? Erzähl mal.

Kreativität: Ich komm nicht mehr zur Ruhe, alle wollen kreativ sein. Vor 1968 bin ich nur mit Künstlern, Musikern und ein paar Freaks rumgehangen. Danach wurde ich mainstream. Und jetzt, 50 Jahre später, bin ich gestresster denn je: Jede verdammte Putzequipe möchte originell daherkommen. 

Kultur: Mist, die lassen einen einfach nicht mehr leben. Kürzlich war ich bei einem KMU. Die wollen mit mir neue Mitarbeiter anlocken. Sie meinen, sie hätten eine «einzigartige Arbeitskultur». Zum Totlachen.

Kreativität: Die finden dich sexy.

Kultur: Trotzdem, die haben keine Ahnung.

Kreativität: Du und dein elitäres Getue.

Kultur: Ich kann auch populistisch sein, wenn du willst.

Kreativität: Lass das mal lieber. Bei mir ist die Situation ähnlich. Alle, vom Café-Besitzer bis zum CEO, vereinbaren ein Treffen mit mir und meinen danach: «Jetzt hab ichs raus, ich bin jetzt  genauso kreativ wie jeder Hippie-Künstler da draussen.»

Kultur: Dabei sind wir für die nur Mittel zum Zweck: Die wollen nur Geld mit uns scheffeln. 

Kellner: Noch zwei Bier?

Kreativität: Darauf kannst du einen lassen.

Kultur: Es gibt Arbeitgeber, die mich als Grund nennen, wenn sie ihren Mitarbeitern einen Hungerlohn zahlen. Wenn Praktikanten einen Lohn fordern, zeigen die Chefs auf mich und sagen: «Du darfst mit der hier zusammenarbeiten, weisst du, wie viele Menschen dafür töten würden?». Dabei gibt es Leute, die richtig Kohle machen mit mir. Für die bin ich keine Leidenschaft, sondern nur Geschäft. 

Kreativität: Bastarde

Kultur: Verdammte Bastarde!

Kreativität: Und verdammte 68er! Vorher war wirklich alles viel entspannter.

Kultur: Für dich war es das vielleicht. Ich dagegen wurde für politische Zwecke missbraucht. Du kannst dir nicht vorstellen, für welche faschistoiden Pläne die mich überall einsetzten in den 30ern. Fürchterlich.

Kreativität: Tragisch, und wie ist es jetzt?

Kultur: In Deutschland stellen die mich neuerdings als Leitkultur vor. Ich soll so sicherstellen, dass sich die Immigranten schön brav integrieren. Dann gibt es noch die Nationalkonservativen, die tun so, als wäre ich bedroht. Sie behaupten, sich um mich kümmern zu wollen, dabei wollen sie einfach ihr Fremdenhass hinter mir verstecken. 

Kreativität: Noch zwei Bier?

Kultur: Ja

(zwei Gäste betreten das Lokal)

Kreativität: Schau an, wer da kommt: Innovation und Produktivität!

Kultur: Sehen beide etwas ausgebrannt aus …

 

 

Gastblogger Lorenz König macht was mit Medien und ab und zu was mit Musik. Seine Gedanken zum Gang der Welten veröffentlicht er auf dem Blog Boom-Town (https://medium.com/boom-town), sein Twitterhandle lautet: @lorenzkoenig

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