Wer soll über kulturelle Werke verfügen: die Künstler und ihre Nachfahren oder die Allgemeinheit? Und wie soll man mit solchen Werken umgehen in Zeiten der Digitalisierung: Alles freigeben zum Download beziehungsweise Streaming oder doch lieber hinter den Vitrinen der Museen oder in den Kinosälen bewahren? An der Tagung «Public Domain» gingen Künstler, Kuratoren, Juristen und Internet-Advokaten diesen Fragen nach.
Die Diskussion schwenkte zwischen kühnen Visionen und konservativen Praxisbezügen hin und her.
Wem gehört Kunst? Der «Nefertiti Hack»
Wie unklar der Besitzanspruch von Kultur ist, macht das Künstler-Duo Nora Al-Badri und Jan Nikolai Nelles mit dem «Nefertiti Hack» deutlich. Ihr Projekt «The Other Nefertiti» demonstriert auf zwei Ebenen, wie westliche Museen Kunst in physischer Form und als Narrativ für sich beanspruchen. In Robin-Hood-Manier haben die beiden die Büste der Nofretete aus dem Neuen Museum in Berlin geklaut und der Allgemeinheit übergeben. Laut eigenen Angaben schmuggelten die Künstler dabei eine Kamera in den Nordkuppelsaal, in dem Fotografieren strengstens verboten ist, und erstellten damit einen 3D-Scan der Büste. Die daraus entstandenen Daten machten sie der Öffentlichkeit zugänglich, nun stehen sie der Welt zum kostenlosen Download bereit. Glaubt man den Künstlern, werden diese Daten von Nutzern weltweit verwendet, um ihre eigene Interpretation der Nofretete zu entwerfen.
Alles nur geblufft?
Ob Nora Al-Badri und Jan Nikolai Nelles die Daten wirklich von dem Original bezogen haben, in dem sie es mit einer versteckten Kamera gescannt haben, und ob die Nachahmungen durch die Netzgemeinde wirklich in dieser Fülle stattgefunden hat, lassen sie offen. Den beiden ging es wohl weniger um die realitätstreue Umsetzung ihrer Idee, als darum, eine Diskussion anzustossen. Diese dreht sich erstens um die eurozentrische Sicht von Kulturobjekten: Die Büste von Nofretete steht in einem deutschen Museum, weil dieses ägyptische Kulturerbe von deutschen Archäologen ausgegraben worden ist. Berechtigt dieser Umstand Deutschland dazu, über diesen Fund zu verfügen und die Deutungshoheit für sich zu beanspruchen? Zweitens geht um die Frage, wie öffentlich Museen wirklich sind: Das Museum ist ein öffentlicher Raum, der von der öffentlichen Hand gefördert wird, wieso also darf man die Ausstellungsobjekte nicht fotografieren und so in seinen Besitz nehmen?
Wenn Kunstwerke zu Daten werden: Potential und Gefahr
Das Beispiel «Nefertiti Hack» zeigt ebenfalls: Werke sind Daten-Rohstoffe. In digitalisierter Form werden Artefakte zu Fotos, 3-D-Scans, Filmen. Als solche Daten verbreiten sie sich entweder in ihrer Ursprungsform in Netz, oder dienen als Rohmaterial für Memes oder Photshop-Battles. So birgt kulturelles Erbe nicht nur ein grosses Potential für Künstler und Kulturinstitutionen, es bereichert auch Kunst-Fans auf eine neue Art.
Es muss nicht immer das grossangelegte Museum-Projekt sein
Wie Kulturgut seinen Weg in den Alltag von Nutzern finden können, erfahren wir von Schriftstellerin Kathrin Passig, Kernaussage ihres Referats: In der digitalisierten Welt findet Kunst nicht nur in der räumlichen Institution statt, sondern auch dezentralisiert an den Smartphones oder Laptops einzelner Nutzer. Das fängt am beim Teilen der Bilder in den sozialen Medien an und endet bei deren Verwendung als Wallpaper für den Computer. Diese unspektakulären Kleinverwendungen schlagen keine grossen Wellen, noch sind sie von Museen initiiert.
Hier geht es nicht um grossangelegte Museumsprojekte, doch in dieser Form wird kulturelles Gut in die kleinste Verästelung der Gesellschaft getragen und neu interpretiert.
Kontrollverlust durch Internet? Nein, danke
Die Hemmung der Kulturinstitutionen ist gross, erinnert uns Passig. Museen hätten kein Problem, wenn es um herkömmliches Merchandise geht, wie etwa eine Tasse mit einem Abzug der Mona Lisa. Sobald sich das Ganze aber ins Netz verlagert, bekämen die Verantwortlichen kalte Füsse. Für viele Museen fände Auseinandersetzung mit Kunst nach wie vor ausschliesslich innerhalb der Wände des Museums oder auf seiner Webseite statt. Das Museum wage keinen Kontrollverlust, keinen Raum für unvorhergesehen Dinge, meint auch Professor Axel Vogelsang im Abschlussreferat. Dabei gibt es gut Gründe, wieso Museen ihre Ausstellungen freigeben sollten, die Macher von KIM.bl zählen folgende:
- Vermittlungsauftrag für das Kulturerbe
- Förderung der Wissenschaft und Bildung
- Erhöhung des Nutzens für andere (Medien, Kreativwirtschaft, Kunst)
- Und nicht zuletzt machen sie Werbung für die eigene Sammlung. So kann das Museum von der verstärkten Sichtbarkeit der Werke profitieren, weil das Netz seine Sammlung hinaus in die Welt trägt.
Natürlich rufen diese Visionen auch Skeptiker auf den Plan: Filmjurist Marc Wehrlin gibt zu bedenken, dass sich das Urheberrechtsystem nicht einfach aushebeln lassen könne, was in diesem Szenario der Fall wäre. Auch der administrative Aufwand muss berücksichtigt werden, will man alle Rechteinhaber (Künstler, Besitzer, Fotograf, Agentur) miteinbeziehen. Stefan Bürer ermahnt die Anwesenden, dass Public Domain zwar Verfügbarkeit bedeute, aber noch lange nicht gratis sei: Infrastruktur, Wartung, Prozesse auf der einen und die Diskussion zwischen der Öffentlichkeit und der Politik seien beides hohe Kostentreiber.
Ein Hoch auf das Urheberrecht?
Eine Frage, die im Bezug zu ihrer Virulenz geradezu unterging, lautet: Was hat der Künstler davon, wenn sein Schaffen gratis zur Verfügung gestellt wird? Schliesslich muss er ja von seiner Arbeit leben können. Spätestens hier zeigt sich, dass das Urheberrecht nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, das den Ausdruck des Werkes schützt, das ohne Urheber nicht da wäre.
Die Tagung «Public Domain» fand am 24. April in Hochschule für Gestaltung in Basel statt. Sie ist eine Zusammenarbeit zwischen Migros Kulturprozent, Christoph Merian Stiftung, Präsidialdepartement Basel Stadt/, dem Haus der Elektronischen Künste.
Gastblogger Lorenz König macht was mit Medien und ab und zu was mit Musik. Seine Gedanken zum Gang der Welten veröffentlicht er auf dem Blog Boom-Town (https://medium.com/boom-town), sein Twitterhandle lautet: @lorenzkoenig