Digital Life, Virtual Reality

Waren Sie schon einmal in der virtuellen Realität?

Die Geschichtliche der Virtuellen Realität und der Traum den Betrachter in eine künstliche Welt zu beamen ist geprägt von Pionierarbeit, Rückschlägen und Fehlversuchen. Der technische Entwicklungsprozess führt uns durch Meilensteine der Unterhaltungsindustrie, Kunst, Architektur, Medizin und Militär. Auch wir bei eyeloveyou beschäftigen uns mit diesem spannenden Medium um Geschichten, Bildwelten oder Produkte auf neuem Wege zu erzählen und zu präsentieren.

 

Der Begriff Virtuelle Realität (VR) wurde geprägt von Science-Fiction Filmen wie Star Treck, Matrix, oder Ready Player One. Darin bewegen sich Captain Kirk und Mr. Spock durch virtuelle Welten auf dem Holodeck. Diese programmierte Fantasiewelt mit fotorealistische Bilder in Echtzeit ist kaum mehr von der realen Welt zu unterscheiden.

Hat uns dieses Zukunftsszenario nun wirklich eingeholt? Ist es möglich in eine glaubhafte virtuelle Realität einzutauchen?

Den Versuch die Virtuelle Realität marktfähig zu machen hat die Unterhaltungsindustrie schon einige Male unternommen. Im Jahre 1994 veröffentlichte Sega VR-1, gefolgt von Nintendo 1995 mit dem Virtual Boy. Das Ergebnis waren adaptierte zweidimensionale Computerspiele mit teils monochromen Grafiken. Das immersive Erlebnis war folglich eher enttäuschend. Zudem wurde aufgrund der geringen Bildwiederholungsrate unter den Usern nicht selten die bekannte Motion Sickness verursacht. Die Projekte sind gefloppt und wurden innerhalb kurzer Zeit wieder eingestellt. Die Motion Sickness war so stark verbreitet, das Nintendo den Virtual Boy in den USA sogar mit einer beiliegenden Packung Ibuprofen verkaufte.

 

Mario Tennis auf Nintendo Virtual Boy

 

Die Geschichte oder vielmehr die Idee der Virtuellen Realität geht dabei zurück bis ins 17. Jahrhundert zur panoramischen Malerei. Bilder zum eintauchen in die gemalte Fantasiewelt. Zweihundert Jahre später, im Jahr 1956 hatte der Cinematograph Morton Heilig eine Vision. Er wollte den Zuschauern seine Filme als Erlebnis präsentieren. Ein Erlebnis, das alle menschlichen Sinne anspricht. Entstanden ist das Sensorama, eine Art Film-Projektor-Kasten mit stereoskopischem 3D-Bildern in Farbe. Filme, wie beispielsweise von einer Wüstenrallye, wurden in Begleitung von Stereo-Audio, einem vibrierenden Stuhl, Geruch und Wind Effekten abgespielt. Ein rundum immersives Erlebnis für alle Sinne.

 

Sensorama

Das Sensorama beschreibt damit die heutige Definition von Virtueller Realität schon relativ genau.

Als virtuelle Realität, wird die Darstellung und gleichzeitige Wahrnehmung der Wirklichkeit und ihrer physikalischen Eigenschaften in einer in Echtzeit computergenerierten, interaktiven virtuellen Umgebung bezeichnet.(Wikipedia)

Zur realistischen Darstellung der virtuellen Welten ist es also nötig, das die Technologie die Fähigkeiten und Eigenschaften unseres Menschlichen Sehvermögens adaptiert.

Um diese computergenerierte Welt sehen zu können benötigen wir ein Display in Form einer VR-Brille mit möglichst hoher Auflösung, Pixeldichte und Bildwiederholungsfrequenz (Hz). Bei der Bildwiederholungsrate geht man davon aus, dass das menschliche Auge mindestens 90 Hertz für eine realistische Darstellung der Bilder benötigt. Ab 16 Bilder pro Sekunde nehmen wir übrigens eine Bildreihenfolge als fortlaufende Bewegung wahr.

Für die Gewährleistung der Interaktivität innerhalb der virtuellen Welt benötigen wir einen Bewegungssensor, der unsere Körperposition verfolgt und in die virtuelle Welt überträgt. Um Aktionen ausführen zu können benötigen wir zudem einen Controller oder Gamepad. Ein solcher Bewegungssensor, genannt Gyroskop, befindet sich übrigens in jedem Smartphone.

VR-Brillen im höheren Preissegment, wie die Oculus Facebook, sind zudem und Sensoren ausgestattet, mit denen das Spielfeld im Wohnzimmer vermessen werden kann, sodass der Bereich für die Interaktion in der VR definiert und überwacht wird.

Die Technologie ist seit den 90er Jahren so weit ausgereift, dass wir computergenerierte Bilder realistisch darstellen können. Das Eintauchen in die Virtuelle Realität ist also durchaus möglich. Allerdings fehlen noch Features wie Gerüche, Wind- und Wassereffekte, die es beim Sensorama 1956 schon gab.

 

virtual surgery training

VR-Anwendungen finden langsam aber sicher ihren festen Platz in unserem Alltag. Neben Computerspielen, VR-Apps oder interaktiven Real Estate Führungen liegt das Kerngebiet von VR in der Simulation von kostspieligen oder gefährlichen Operationen.

So werden komplizierte chirurgische Eingriffe trainiert oder Simulationen für Piloten, Militär und Rettungskräfte durchgeführt. Auch im Bildungsbereich und bei therapeutischen Anwendungen findet VR heute ihren Einsatz. So erleben Schüler eine Führung im virtuelle Museum oder Traumapatienten werden zur Behandlung von Höhenangst mit virtuellen Gefahren konfrontiert.

 

Der kleine Bruder von VR

 

Wer nicht weiss, wo anfangen, dem bietet sich der einfachste Einstieg in die Virtuellen Realität über das Betrachten von 360° Videos. YouTube, Vimeo und Facebook lassen das Einbinden von 360° Inhalten schon seit einigen Jahren zu. Um VR in Form von 360° Videos für die Massen zugänglich zu machen hat Google das Cardboard vorgestellt. Eine VR-Brille in Form einer faltbaren Karton-Box mit Linsen, das aufgefaltet als Container für das Smartphone Display funktioniert.

Google Cardboard

So haben wir nun die Möglichkeit rasante Achterbahnfahrten, Tauchgänge mit Haien oder Reportagen aus Krisengebieten in einer 360 Grad Rundumsicht anzuschauen. Dabei können wir uns (noch) nicht frei in der gefilmten Szene bewegen, wir können lediglich unseren Blickwinkel selbst definieren. Definiert wird dies über DOF (Degrees of freedom). Die 3-DOF Technologie erlaubt die Rotation um die Achsen X, Y und Z. Neuere 360° Kameras mit mindestens sechs Linsen zeichnen 360° Videos in stereoskopischem 3D auf. Diese Videos erlauben es uns im virtuellen Raum ein wenig nach Vorne, Hinten oder zur Seite zu neigen was dann als Six Degrees of Freedom bezeichnet wird.

 

Out of the box, into the sphere.

 

Möchte man mit dem neuen Medium Geschichten erzählen stellt man relativ schnell fest, das dies mit den traditionellen Werkzeugen nicht funktioniert? Die Produktion von 360° Videos unterscheidet sich in einigen Aspekten von der klassischen Videoproduktion. Regie, Kamera, Ton und Lichttechniker werden zum Umdenken gezwungen. So gibt es bei 360° Grad Videoproduktionen kein “Hinter der Kamera”. Also wo steht die Filmcrew? Wie wird das Set ausgeleuchtet, wenn alle Scheinwerfer später im Bild zu sehen sind und wie kommuniziert die Regie mit den Darstellern?

Run and hide

 

Prinzipiell führt der Weg über die Integration der Crew und Technik in die Szene. Die Regie und der Kameraoperator verstecken sich beispielsweise hinter Baum und Mauer oder integrieren sich als Statisten in das Geschehen.

Mit der 360° Kamera ist es zudem nicht möglich die Brennweite des Objektivs zu verändern. Das klingt erstmal nicht so dramatisch. Es bedeutet jedoch, das alles weitwinklig in einer Totalen aufgenommen wird. Somit kann später nicht zwischen Einstellungsgrössen wie Close-Up, Nahe oder Totale geschnitten werden. Auch keine Zooms, Kameraschwenks oder Schärfenverlagerungen sind möglich. Um das Auge des Betrachters stets auf das Wesentliche zu lenken, bedient sich der Film an Hilfsmitteln wie Audiosignale, Bewegungsführung durch Objekte im Raum, Grafiken oder Moderation. So versucht man zu vermeidet, das der Betrachter etwas Wichtiges verpasst, weil er zufällig in die falsche Richtung schaut.

 

Erzählt man eine Geschichte auf der 360°-Bühne, so projiziert man den Betrachter in das Zentrum des Geschehens. Dieser wird somit selbst zum Mittelpunkt und kann daher als passiver oder aktiver Charakter in die Handlung der Geschichte integrieren werden. Prinzipiell ist die 360° Videoproduktion mit einer Theaterbühne vergleichbar, bei der der Zuschauer mitten auf der Bühne steht und das Geschehen um ihn herum betrachtet.

Übrigens um sich in der virtuellen Welt um die eigene Achse drehen zu können sollte jeder Betrachter 360-Grad Videos im Stehen anschauen. Nichts mehr mit Couch Potato, es wird aufgestanden und erstmal das Wohnzimmer aufgeräumt, damit man in der virtuellen Welt nicht über einen sehr realen Gegenstand auf seinem Fussboden stolpert.

 

 

Bildquellen:
https://virtualspeech.com/blog/history-of-vr
https://www.nmy.de/de/1/projekte/15/266/virtual-surgery-training/
https://store.google.com
The Untold Story Of Virtual Reality On The Sega Genesis – The Unreleased The Sega VR Headset

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Culture

Sex, Drugs und Bünzlitum

Der Spiessbürger war für mich lange Zeit das Schreckensgespenst schlechthin: Konservativ, engstirnig und konformistisch. Mittlerweile bin ich selbst Bünzli. Der Grund liegt beim Älterwerden aber auch daran, dass sich das Spiessbürgertum verändert hat.

Die Nachbarn von meinem Elternhaus am Giebenacherweg 1 hiessen – ohne Witz – Biedermann. Zwischen den Hausnummern 1 und 2 waren die Rollen klar verteilt: Wir waren die Anarchisten (Gebrüll, Musik mit 90 Dezibel und ein Garten, der aussah wie ein zerbombter Spielplatz) und sie die Angepassten (Kirche am Sonntag, gemähter Rasen und Nachtruhe um 22:00) – die Bünzlis.

Ich platzierte diese Form des Lebens irgendwo zwischen Fegefeuer und Hölle: zu konform und engstirnig, um Spass zu haben, zu weit unter dem Tellerrand, um drüber zu schauen und die Wunder des chaotischen Lebens zu erblicken.

Leben bedeutete für mich, Grenzen auszuloten und Regeln zu brechen. Entsetzte Lehrer, Bussen und ein malträtierter Körper waren für mich schlimmstenfalls Kollateralschäden, die ich gerne in Kauf nahm. Diese Haltung trug ich bis lange in die Adoleszenz hinein mit mir rum, zusammen mit meinem Gras, meinen Spraydosen und meinen Baggy-Pants.

Der Bünzligeist geht um

Fünfzehn Jahre später haben sich die Dinge geändert. Mit bald vierzig nerve mich ab den Besoffenen und den Teenies, die um 22:40 draussen rumschreien, und den Velofahrern, die das Trottoir als Rennstrecke benutzen.

Ich putze die Wohnung jede Woche, denn Unordnung und Staub kann ich genauso wenig ausstehen, wie unbeglichene Rechnungen. Montags kaufe ich jeweils für die ganze Woche ein und der Mittwoch ist für alle administrative Aufgaben reserviert, die in einem geordneten Leben so anfallen.

Wäre Papier-Bündeln eine Olympiadisziplin hätte ich mir schon lange ein Goldmedaille erknotet.

Würde es die Schweiz China gleichtun und ein Sozialkredit-System einführen, mit dem sie das wünschenswerte Verhalten der Bürger beziffert, bekäme ich die Höchstnote. Und ich bin nicht alleine, Freunde, die einst voller Tatendrang in die grosse Welt aufgebrochen sind, ziehen mit Kind und Kegel nach Riehen oder Bettingen. Das Spiessbürgertum hat uns eingeholt.

 

Rock’n’roll non-stop ist anstrengend

Ich sehe drei Gründe für diese Entwicklung, die nicht direkt zusammenhängen.

Älterwerden: Wenn die antiautoritären Energien abgewetzt sind und die Arbeitswochen strenger werden, sehnen wir uns nach Sicherheit und Erholung. Rock’n’Roll non-stop ist nun mal anstrengend und lässt sich schwer mit einer 42-Stundenwoche, Grossraumbüro und anspruchsvollen Chefs vereinbaren. 

Multioptionsgesellschaft: Je vielfältiger die biografischen Optionen sind und je weniger Grenzen die Gestaltung unseres Werdegangs limitieren, desto stärker wird das Verlangen nach Ordnung in Heim und Alltag. Es geht ja auch darum, dass wir uns in der Welt aufgehoben und nicht in die Welt geworfen fühlen, wie Soziologe Hartmut Rosa mal meinte. Und das Bünzlitum bietet genau das.

 

Der Neo-Bünzli ist da

Der dritte Grund hat mit der sich verändernden gesellschaftlichen Rolle von Antiautoritären Kräften und Spiessbürgertum.

Viele Denken beim Spiesser an einen Typen mit Eigenheim, Doppelgarage und Schrebergarten. Aber in unserer postmodernen Spassgesellschaft ist dieser Füdlibürgerschlag ein Auslaufmodell.

Den Spiesser findest du auch in den linksprogressiven Ballungszentren, wie Zürich oder Basel.

Wieso? Der Kapitalismus hat mittlerweile jene Kräfte nivelliert, die sich in der Kulturgeschichte unversöhnlich gegenüberstanden: Das Spiessbürgertum und die aufbegehrende Jugendkultur.

In Zeiten in denen Skater zu Louis Vuitton Design Chefs werden und Rapper Haute Couture bewerben, in einer Welt, wo Clubkultur und ihr vermeintlicher Eskapismus zu einer Milliardenindustrie mutieren, wird Distinktion zur Phrase – und die Grenzmauer zwischen Gegenkultur und Bourgeoisie zu einem Zäunchen.

Selbstverwirklichung ist Mainstream und hat nur noch wenig mit Aus-Der-Reihe-Tanzen zu tun. Als Teil der akzeptierten Gesellschaftssphäre verwebt sich der Individualisierungsdrang mit dem Spiessbürger-Haltung und, tadaa, schon haben wir den Urbanen Spiesser.

Der Urbanen Spiesser hat keinen Schrebergarten, vielleicht nicht mal ein Auto. Auch schlägt er ab und zu über die Stränge. Aber seine Wohnung ist aufgeräumt, seine Rechnungen bezahlt, sein Abfall getrennt und am Wochenende trifft man ihn mit der NZZ am Sonntag an der Buvette am Rhein.

Ich würde gerne mit meinen ehemaligen Nachbarn einen Kaffee trinken gehen. Womöglich sind wir uns mittlerweile ähnlicher als ich mir je hätte träumen lassen.

 

Gastblogger Lorenz König macht Marketing bei wemakeit und Musik in Bars. Seine Gedanken zum Gang der Welten veröffentlicht er hier auf eyeblogyou und auf seinem Blog Boom-Town, sag hallo auf Facebook oder Instagram.

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