Culture

Sex, Drugs und Bünzlitum

Der Spiessbürger war für mich lange Zeit das Schreckensgespenst schlechthin: Konservativ, engstirnig und konformistisch. Mittlerweile bin ich selbst Bünzli. Der Grund liegt beim Älterwerden aber auch daran, dass sich das Spiessbürgertum verändert hat.

Die Nachbarn von meinem Elternhaus am Giebenacherweg 1 hiessen – ohne Witz – Biedermann. Zwischen den Hausnummern 1 und 2 waren die Rollen klar verteilt: Wir waren die Anarchisten (Gebrüll, Musik mit 90 Dezibel und ein Garten, der aussah wie ein zerbombter Spielplatz) und sie die Angepassten (Kirche am Sonntag, gemähter Rasen und Nachtruhe um 22:00) – die Bünzlis.

Ich platzierte diese Form des Lebens irgendwo zwischen Fegefeuer und Hölle: zu konform und engstirnig, um Spass zu haben, zu weit unter dem Tellerrand, um drüber zu schauen und die Wunder des chaotischen Lebens zu erblicken.

Leben bedeutete für mich, Grenzen auszuloten und Regeln zu brechen. Entsetzte Lehrer, Bussen und ein malträtierter Körper waren für mich schlimmstenfalls Kollateralschäden, die ich gerne in Kauf nahm. Diese Haltung trug ich bis lange in die Adoleszenz hinein mit mir rum, zusammen mit meinem Gras, meinen Spraydosen und meinen Baggy-Pants.

Der Bünzligeist geht um

Fünfzehn Jahre später haben sich die Dinge geändert. Mit bald vierzig nerve mich ab den Besoffenen und den Teenies, die um 22:40 draussen rumschreien, und den Velofahrern, die das Trottoir als Rennstrecke benutzen.

Ich putze die Wohnung jede Woche, denn Unordnung und Staub kann ich genauso wenig ausstehen, wie unbeglichene Rechnungen. Montags kaufe ich jeweils für die ganze Woche ein und der Mittwoch ist für alle administrative Aufgaben reserviert, die in einem geordneten Leben so anfallen.

Wäre Papier-Bündeln eine Olympiadisziplin hätte ich mir schon lange ein Goldmedaille erknotet.

Würde es die Schweiz China gleichtun und ein Sozialkredit-System einführen, mit dem sie das wünschenswerte Verhalten der Bürger beziffert, bekäme ich die Höchstnote. Und ich bin nicht alleine, Freunde, die einst voller Tatendrang in die grosse Welt aufgebrochen sind, ziehen mit Kind und Kegel nach Riehen oder Bettingen. Das Spiessbürgertum hat uns eingeholt.

 

Rock’n’roll non-stop ist anstrengend

Ich sehe drei Gründe für diese Entwicklung, die nicht direkt zusammenhängen.

Älterwerden: Wenn die antiautoritären Energien abgewetzt sind und die Arbeitswochen strenger werden, sehnen wir uns nach Sicherheit und Erholung. Rock’n’Roll non-stop ist nun mal anstrengend und lässt sich schwer mit einer 42-Stundenwoche, Grossraumbüro und anspruchsvollen Chefs vereinbaren. 

Multioptionsgesellschaft: Je vielfältiger die biografischen Optionen sind und je weniger Grenzen die Gestaltung unseres Werdegangs limitieren, desto stärker wird das Verlangen nach Ordnung in Heim und Alltag. Es geht ja auch darum, dass wir uns in der Welt aufgehoben und nicht in die Welt geworfen fühlen, wie Soziologe Hartmut Rosa mal meinte. Und das Bünzlitum bietet genau das.

 

Der Neo-Bünzli ist da

Der dritte Grund hat mit der sich verändernden gesellschaftlichen Rolle von Antiautoritären Kräften und Spiessbürgertum.

Viele Denken beim Spiesser an einen Typen mit Eigenheim, Doppelgarage und Schrebergarten. Aber in unserer postmodernen Spassgesellschaft ist dieser Füdlibürgerschlag ein Auslaufmodell.

Den Spiesser findest du auch in den linksprogressiven Ballungszentren, wie Zürich oder Basel.

Wieso? Der Kapitalismus hat mittlerweile jene Kräfte nivelliert, die sich in der Kulturgeschichte unversöhnlich gegenüberstanden: Das Spiessbürgertum und die aufbegehrende Jugendkultur.

In Zeiten in denen Skater zu Louis Vuitton Design Chefs werden und Rapper Haute Couture bewerben, in einer Welt, wo Clubkultur und ihr vermeintlicher Eskapismus zu einer Milliardenindustrie mutieren, wird Distinktion zur Phrase – und die Grenzmauer zwischen Gegenkultur und Bourgeoisie zu einem Zäunchen.

Selbstverwirklichung ist Mainstream und hat nur noch wenig mit Aus-Der-Reihe-Tanzen zu tun. Als Teil der akzeptierten Gesellschaftssphäre verwebt sich der Individualisierungsdrang mit dem Spiessbürger-Haltung und, tadaa, schon haben wir den Urbanen Spiesser.

Der Urbanen Spiesser hat keinen Schrebergarten, vielleicht nicht mal ein Auto. Auch schlägt er ab und zu über die Stränge. Aber seine Wohnung ist aufgeräumt, seine Rechnungen bezahlt, sein Abfall getrennt und am Wochenende trifft man ihn mit der NZZ am Sonntag an der Buvette am Rhein.

Ich würde gerne mit meinen ehemaligen Nachbarn einen Kaffee trinken gehen. Womöglich sind wir uns mittlerweile ähnlicher als ich mir je hätte träumen lassen.

 

Gastblogger Lorenz König macht Marketing bei wemakeit und Musik in Bars. Seine Gedanken zum Gang der Welten veröffentlicht er hier auf eyeblogyou und auf seinem Blog Boom-Town, sag hallo auf Facebook oder Instagram.

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Reden für Dummies – Dialog ist nicht nur im Netz für den Arsch

Alle jammern, dass im Internet kein anständiger Dialog zustande kommt. Dabei kacken viele schon beim Offline-Gespräch ab: Sie labern irrelevanten Müll oder hören nicht zu.

Ich kann nicht anders. Ich muss hinhören, wenn der Alte im Zugbistro sein Gegenüber volllabert.

Und er labert laut, lange und lückenlos.

Wie ein Maschinengewehr mit endloser Munition feuert er Meinungen und vermeintliches Wissen auf seinen machtlos da sitzenden Gesprächspartner ab.

Wieso Letzterer noch nicht aufgestanden ist, ihm das restliche Bier über den Kopf geleert und das Abteil gewechselt hat, ist mir rätselhaft. Ich sehe zwei mögliche Gründe.

  1. Er ist dermassen begeistert von dem Geblubber des Alten, dass er an seinen Lippen hängt und sich wünscht, diese Zugfahrt würde nie enden.
  2. Er hat schon lange auf Durchzug geschaltet, lässt resigniert die Quassel-Flutwelle auf sich niederprassen und hofft, dass der Zug endlich in Basel ankommt.

Ich tippe auf Nummer zwei.

Vier Typen von Dialog-Assis

Ein Dialog muss anders verlaufen als dieses Zug-Gespräch – austausch- und interessensbasierter.

Heruntergebrochen auf einzelne Schritte heisst das: Zuhören, verarbeiten, antworten, eine (verbale oder nonverbale) Reaktion abwarten, repeat.

Auf den ersten Blick simpel, doch viele Menschen kriegen das nicht hin. Ich kenne vier Typen, die an diesem Ablauf scheitern oder ihn ignorieren.

  1. Die Gesprächspiraten: Sie Kapern das Gesprächsthema und die Gesprächszeit. Sie müllen dich mit Geschichten und Meinungen zu. Dabei versichern sie sich auch nicht nur einmal, ob dich ihr Gequassel überhaupt interessiert. Unser Quassel-König von der Zugreise? Ein Gesprächspirat.
  2. Die Selbstzweck-Plauderer: Sie reden, damit geredet wird, und schenken dem Inhalt deiner Aussagen entsprechend wenig Aufmerksamkeit. Du erkennst sie daran, dass sie deinen Satz bejahen, bevor du ihn überhaupt zu ende gesprochen hast. Du könntest sagen: “heute hätte ich Lust, drei Katzen zu zerstückeln, wäre das nicht schön?”, und von ihnen ein “Ja, das wäre mega!” als Antwort erhältst.
  3. Die Verhörer: Sie ballern dich mit zusammenhanglosen Fragen zu, ohne auf deine Antworten einzugehen. Meistens schieben sie die nächste Frage nach, während dem du noch die vorangegangene Frage beantwortest. Ein Dialog, bei dem beide Fragen stellen, wird damit unmöglich. Wäre dieses Gespräch ein Tennisspiel, würden dich die Verhörer mit ihren Schmetterbällen über den Platz jagen. Du kommst nie dazu, einen anständigen Ball zu spielen, weil du jeden Ball retten musst.
  4. Die Dampfwalzen: Wie den Verhörern ist es auch den Dampfwalzen ziemlich Banane, dass du gerade dabei bist, etwas zu sagen, das du dir gut überlegt hast und gerne vermitteln willst. Im Gegensatz zu den Verhörern überfahren sie deine Aussage mit eigenen Meinungen oder sonst was, das ihnen durch den Kopf geht.


Es ist kompliziert

Fairerweise muss man sagen, kommunizieren ist nicht einfach. Ich kram jetzt die Überreste meines Uni-Wissens hervor. Soweit ich mich erinnern kann, meinte der Kommunikationstheoretiker Nikals Luhmann, zwischenmenschliche Kommunikation sei verdammt schwierig:

Zuerst muss ich die Gedankenfetzen in meinem Gehirn zu einem logischen Ablauf ordnen. Anschliessend muss ich diesen Ablauf in dieses ziemlich limitierte Medium giessen, das wir Sprache nennen. Dann muss ich hoffen, dass mein Gegenüber meine Worte so encodiert und interpretiert, wie ich mir das vorgestellt habe.

Spätestens beim Interpretieren wirds richtig kritisch. Denn jede Person verknüpft ihre eigenen Erfahrungen mit den von mir gesagten Dingen und versteht diese dadurch komplett anders.

Dass alle labern, heisst nicht, dass jeder es kann

Ja, wir labern alle die ganze Zeit – aus Höflichkeit, weil wir uns vor kollektiver Stille fürchten und weil wir unsere Meinung äussern, um unsere Identität zu festigen.

Wir labern aber auch, weil Kommunikation in so ziemlich allen Lebensbereichen verdammt wichtig ist.

Doch beim miteinander Sprechen ist es wie beim Tanzen, nur weil jeder es macht, heisst es nicht, dass jeder es kann. Die einen haben den Rhythmus im Gefühl, die anderen gehen in Kurse und lernen das Tanzen  – und wiederum andere zappeln auf der Tanzfläche rum wie ein Fisch, denken aber sie seinen John Travolta in Night Fever.

Also: Kommunikation ist in der analogen Welt schon schwer genug, kein Wunder, ist der Dialog im Netz so für den Arsch. Schauen wir doch, dass wir mal richtig miteinander sprechen lernen, bevor wir dem Internet die Schuld zuschieben.

 

 

Gastblogger Lorenz König macht was mit Medien und ab und zu was mit Musik. Seine Gedanken zum Gang der Welten veröffentlicht er auf dem Blog Boom-Town (https://medium.com/boom-town), sein Twitterhandle lautet: @lorenzkoenig

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Typography

Lest We Forget

What is a memory? Can you remember things that haven’t happened to you? And how on earth are you going to remember what you are reading in this blogpost?

In October 2018, RMIT University of Melbourne introduced Sans Forgetica, a new typeface, which is said to increase your memory of what you just read.

This is far from another déjà vu with Helvetica, has nothing to do with that cheesy 80s hit sung by Barbra Streisand, and I doubt that it will improve my ability to memorise the name of the person I just introduced myself to.

It has been proven to improve memory retention when tested by 400 students.

We live in an era where communication tends to be straightforwardly presented, smoothly designed, and easy on the eye.

The findings of RMIT however show the advantages of having to put a bit of effort into something.

When you are slightly challenged, you enter the ultimate state for the brain and body to learn and remember.

So, what are the main ingredients of this revolutionary font – available as a free download – developed by the School of Design together with the Business Lab, both faculties of Victoria’s proudest university?

The first and foremost ingredient is to combine psychology and design principles in order to challenge the norm of understanding typography.

 

Enter the gaps. The gaps are not about saving taxpayers’ money on using less ink, but about hitting the sweet spot of breaking design principles without becoming too illegible.

The second key element of Sans Forgetica is the backslant, normally only used graphically for very specific mathematical expressions.

Together these ingredients create what the inventors refer to as desirable difficulty, which, by the way, sounds like something that belongs in the cruel jokes of package design than typography.

Has anyone ever understood how to properly open half of the food packaging in a civilised way without eventually resorting to butchering the carton with your sharpest knife? I am sorry, I digress.

The ‘desirable difficulty’ you experience when reading information formatted in Sans Forgetica prompts your brain to engage in deeper processing.

This is also a very clear example of how we comprehend fonts – not letter by letter, but by outline. Which also explains how you can read jsut abuot antyhnig as lnog as the frist and lsat lteters are crorect.

Sans Forgetica is a true cross-pollination of different research fields.

The leading trio behind the project are practising typographers and typography teachers.

Mr. Stephen Banham, Dr Jo Peryman, and Dr Janneke Blijlevens from the RMIT Behavioural Business Lab are working on a scientific report, which will show exactly how efficient Sans Forgetica is.

In the meantime I am thinking that maybe my lousy name memory could be improved if nametags at the next event could please be printed in Sans Forgetica?

And last but not least – since physical movement and multisensory experiences also have been proven to reinforce memory, I have an idea for the next timeyou really want to memorise a text.

Walk barefoot on sand, blast that cheesy 80s hit on your sound system, burn your favourite incense, and, of course, read it in Sans Forgetica.

Lest we forget.

 

 

 

– Anders Modig

Anders Modig, based in Basel since 2013, has been a journalist for 15 years. He writes about watches and design for titles like Vanity Fair on Time, Hodinkee, Café and South China Morning Post.

He has been editor in chief of seven magazines and books, including the current annual design magazine True Design by Rado, and his company also organises events for clients like TAG Heuer, Zenith and Patek Philippe.

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Viel Arbeit? Hör auf zu klagen! Nichtstun ist die Zukunft

“Ich hab viel zu tun”: Täglich hören wir diesen Satz, egal ob im Büro, in der Mittagspause oder wenn wir einem Freund auf der Strasse begegnen. Der Satz ist zur Standardantwort avanciert, wenn man fragt, “wie gehts” – die Antwort “gut” war gestern. Dabei ist dieser Satz aus drei Gründen problematisch.

Grund 1: Faulheit ist die letzte Todsünde

Leute, die sich über ihren Berg an Arbeit beklagen, machen es sich leicht – zumindest aus einem kulturellen Gesichtspunkt. Denn wer viel arbeitet, der ist eins sicher nicht: faul. Und was gibt es Schlimmeres, als als Schlaffi wahrgenommen zu werden! Faulheit ist in unserer Leistungsgesellschaft die letzte verbliebene Todsünde: Ehebruch? Wenn juckts! Lügen? Im postfaktischen Zeitalter ein Kavaliersdelikt. Eitelkeit: Instagram ist ein Jahrmarkt der Eitelkeit. Die Anzahl monatliche Nutzer dieses Sozialen Netzwerks? Eine Milliarde. Und so weiter.
Ist jemand mit Arbeit eingedeckt, impliziert das, dass diese Person das Gegenteil von faul ist: Sie ist fleissig, zuverlässig und zudem ein gefragter Auftragsempfänger. Ihre Vorgesetzten decken sie mit Arbeit ein, weil sie wissen, diese Person liefert, und das gut und schnell. Und wenn Faulheit die letzte Todsünde ist, ist Leistung durch harte Arbeit die vorherrschende, jeden Gesellschaftsbereich dominierende Tugend. Wir haben Gott und die Kirche hinter uns gelassen, aber die Protestantische Arbeitsethik haben wir noch nicht abgestreift. Auch Bukowski hatte das erkannt und forderte in seinem Roman Faktotum: Es sollte auch für Menschen ohne Ehrgeiz einen Platz geben: ich meine, einen besseren als den, den man ihnen gewöhnlich reserviert.

Grund 2: Clever arbeiten ist besser als viel arbeiten

Wieso sagen Leute nicht: “Ich arbeite nicht hart und lang, ich arbeite clever. Ich hab einige der mir zugeteilten Aufgaben nicht erledigt, weil ich weiss, dass sie niemandem einen Mehrwert bieten. Dafür bin ich etwas früher nach Hause gegangen und hab den Abend genossen. Am nächsten Tag kam ich frisch erholt ins Büro, mein Kopf war voll mit wunderbaren Ideen.” Oder um es mit Steve Jobs zu sagen: «People think focus means saying yes to the thing you’ve got to focus on. But that’s not what it means at all. It means saying no to the hundred other good ideas that there are. You have to pick carefully.»

Natürlich braucht es Selbstvertrauen zu sagen: “Das mache ich nicht, weil ich den Mehrwert dahinter nicht sehe. Weil es weder Geld bringt, noch jemandem unmittelbar nützt. Weil es nur bürokratischer Mist oder Wir-haben-das-immer-schon-so-gemacht-Müll ist.” Zum Glück gibt es berühmte Vorreiter. Nobelpreisträger Richard Thaler sagt von sich selbst, er sei faul. Er kümmere sich nur um diese Dinge, die wichtig sind und die er gerne mache. Für einen Nobelpreis hat es immerhin gereicht.

Grund 3: Schufterei killt Kreativität

Nichtstun ist die Zukunft. Oder was machst du, wenn die Roboter deinen Job übernommen haben? Zugegeben, wenn du diesen Blog liest, werden die Roboter deinen Job nicht so schnell übernehmen, da du wahrscheinlich eine höhere Ausbildung hast und/oder eine kreative oder konzeptionelle Arbeit verrichtest. Aber gerade im konzeptionellen Bereich ist es unglaublich wichtig, dass du Zeit für Musse hast. Denn im Zustand des Nichtstuns kommen die richtig guten Ideen. https://qz.com/705782/the-best-productivity-hack-when-youre-stuck-is-to-do-nothing/

Also trau dich, deine Arbeit zu ändern und zu sagen, dass du nicht mehr hart arbeitest, sondern smart.

 

 

 

Gastblogger Lorenz König macht was mit Medien und ab und zu was mit Musik. Seine Gedanken zum Gang der Welten veröffentlicht er auf dem Blog Boom-Town (https://medium.com/boom-town), sein Twitterhandle lautet: @lorenzkoenig

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Ein Open Air mit viel Herz & Verstand

Es gibt für mich diese Momente im Jahr, auf die ich mich ganz besonders fest freue. Einer davon ist das Open Air Basel.

Das hat bei mir ganz persönliche Gründe. 2010 hat alles angefangen – mit dem Viva con Agua & Kaserne Basel Festival, welches ich als damalige Viva con Agua-Vereinspräsidentin zusammen mit Open Air Basel-Leiter Sandro Bernasconi gegründet habe. Unterdessen sind acht Jahre vergangen. Und auch wenn wir es unbenannt haben, besteht die enge Freundschaft zwischen der Trinkwasserorganisation Viva con Agua und unserem Festival noch immer.

Durch die Depot-Becherspenden der Besucher*innen gehen jährlich durchschnittlich CHF 5’500.—an die Viva con Agua Wasserprojekte.

Schwerpunkt-Projekt ist momentan Nepal.

Seit 2014 unterstützt Viva con Agua ein WARM-Projekt in Nepal. Dies besteht aus der Planung und Umsetzung eines Wasserressourcenplans, der Kompetenzstärkung und Sensibilisierung der Bevölkerung und konkreten Trinkwasser- und Siedlungshygieneprojekten. Das Projekt ermöglicht damit die Verbesserung der Lebensbedingungen für rund 160’000 Menschen.

Dieses Jahr wird Viva con Agua erneut Depot-Becher für sauberes Trinkwasser sammeln. Zudem gibt es bei der Aftershow-Party die sogenannte Gästeliste-Aktion, bei der man/frau für den Gästelisteplatz was spenden kann. Und schliesslich gibt es am Samstagnachmittag auf der Kasernenwiese wieder die beliebte Kinderwasserwerkstatt, bei der sich die Kids spielerisch mit dem Thema Wasser auseinandersetzen können – unter anderem mit Glitzermalen und einem Spenden-Aquarium Spiel.

Wir freuen uns auf soziales Engagement, das Spass bringt – bei allen Beteiligten.

Danielle Bürgin – Open Air Basel Vereinspräsidentin

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Chaos, Kunst und Kollaboration

Was passiert, wenn eine Social Media-Seite ihren Usern eine freie Fläche zur Verfügung stellt? Reddit hat sich in seinem alljährlichen April Fools-Experiment damit auseinandergesetzt.

Das Problem an einem halbgaren Digital Sabbatical ist, dass das aktuelle Weltgeschehen doch irgendwie durchsickert. Um nicht im nebulösen Halbwissen zu ertrinken, wirft man dann kurz nen Blick ins mediale Schattentheater und ergötzt/erregt sich an den geopolitischen Ränkespielen, die bei Game Of Thrones oder House Of Cards wegen Unglaubwürdigkeit wohl längst auf dem Boden des Cutting Rooms gelandet wären. Nach globaler Kommunikation oder gar Kollaboration sieht das alles jedenfalls nicht aus. Eher nach zunehmend regressivem Fäkalienwerfen.

Konsequent zu Ende gedacht, kommt da die Frage auf, ob Unsicherheit und Chaos das Schicksal der Menschheit ist. Quasi das logische Resultat dieser kuriosen Simulation, basierend auf ein paar physikalischen Gesetzen, einer Auswahl biologisch begründeter Verhaltensmöglichkeiten und sonst mehr oder weniger Raum für die Ausbreitung eines augenscheinlich freien Willens (lassen wir für den Moment die Glaubensebene mal weg, sonst artet es aus). All unsere Sorgen, Träume und Bedürfnisse: letztendlich nur Zeilen eines Codes, cursed to end in entropy. Das tut ein bisschen weh, weil doch aus subjektiver Sicht vieles ganz wahnsinnig bedeutsam erscheint: Die wahre Rolle des orangegefiederten POTUS,  der Opel mit der Aargauer Nummer, der (schon wieder) auf dem Lieblingsparkplatz steht, Person X, die neulich etwas komisch gekuckt hat, als man sie um halb vier Uhr morgens in einer Bar angetroffen hat.

Durchaus recht wichtig, das alles. Da muss Ordnung und Übersicht rein; bloss keine Unsicherheit, bloss kein Chaos.

Um so faszinierender, wenn man dann selbst Zeuge eines Experiments werden darf, welches die Mikro-, Makro- und Metaebene unseres menschlichen Beisammenseins wunderbar aufzeigt. Und das gerade dank dem Chaos.

Am 1. April wurde in einem Subforum von Reddit (die selbsternannte „Frontpage of the Internet“) eine 1024 X 1024 Pixel grosse, leere Fläche zur Verfügung gestellt, versehen mit denkbar simplen Regeln: alle paar Minuten hatte man die Möglichkeit, die Farbe eines einzelnen Pixels zu bestimmen. Nach 72 frenetischen Stunden endete „r/place“ und die, vermutlich in die Millionen gehenden, Teilnehmer rieben sich die Augen.

Was war in den 72 Stunden geschehen? Erst mal nicht allzu viel, ein bisschen wahllose Farbspielerei. Dann entstanden Muster, Patterns, erste Schriftzüge. Es wurde klar, hier wird zusammengearbeitet. Die User lernten mit den Regeln zu spielen und erstellten Scripts, die komplexe Symbole ermöglichten. Populär waren (what else) Abbilder diverser Memes, bald kamen bekannte Logos und Kunstwerke hinzu.

Kommunikation lief vor allem über r/place, aber auch in einer wachsenden Zahl eigens erstellter Subreddits wurde eifrig diskutiert. Taktiken wurden entwickelt, um z.B. die eigenen Werke vor Invasion zu schützen, mit Anderen zu fusionieren oder Neue zu gestalten.

Es dauerte nicht lange, bis sich expandierende Nationalflaggen in die Quere kamen und „Krieg“ ausbrach. Schweden vs. Dänemark, Iran vs. Pakistan, Deutschland vs. Frankreich. Auf den Krieg folgte der Frieden und das paneuropäischen Schlachtfeld zeigte am Ende eine Europaflagge. Der Auftritt einer offenbar führungslosen, alles verschlingenden schwarzen Masse in der Mitte des Feldes liess Trump-Anhänger und -Gegner zu Verbündeten werden und inmitten des vormals schwarzen Lochs wehten schliesslich die Stars & Stripes. Und das sind gerade mal eine Handvoll von unzähligen kollaborativen oder kompetitiven Schauplätzen. Das Endresultat war ein unermesslich reiches, kurioses und faszinierendes Sammelsurium der Netzkultur, Stand 2017.

 

 

Aber was genau war, oder ist nun „r/place“? Nur eine weitere Variante des Open Canvas wie Drawball oder der MillionDollarHomepage, nur jetzt, Dank der Reddit-Dynamik mit mehr Aufmerksamkeit? Ist es der visualisierte Fiebertraum eines kurzlebigen Cloud-Bewusstseins, eine Art Urform (semi-)künstlicher Intelligenz? Bloss eine chaotische und irrelevante Sammlung aktueller Memes? Eine Gesellschafts-Simulation, zynisch durchgeführt als Aprilscherz? Oder gar eine faszinierende Analogie zur Allgemeingültigkeit der hinduistischen Dreifaltigkeit aus Kreation, Erhaltung und Zerstörung, wie es der US-Blog Sudoscript sehr eloquent formulierte? Reddit selbst versuchte gar nicht erst eine abschliessende Antwort zu finden, sondern postete zwei Wochen später eine knappe Zusammenfassung, die weiteres Stöbern erleichtert, samt links zu User-generierten Timelapse-Videos, interaktiven Karten und sogar einer animierten Heatmap.

 

 

r/place war ein bisschen von allem und gleichzeitig viel mehr. Das ist zwar eine sehr unbefriedigende Schlussfolgerung, aber auch ein Hinweis darauf, dem Chaos nicht immer ganz so ängstlich gegenüber zu treten. Wenn mit so wenigen Regeln in so kurzer Zeit aus Nichts etwas so Vielschichtiges entstehen kann, alleine auf Grund von Kollaboration und Kooperation, dann wird klar, was eigentlich möglich ist. Zeit, dem Chaos auch mal eine Chance zu geben und einfach mitzumachen, egal ob Simulation oder nicht.

 

Gastblogger Nik von Frankenberg ist freischaffender Musiker, Blogger und Handlanger.

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