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Noch was zum Smartphone

Schon mal gedankenverloren in metaphysische Sphären abgedriftet? Soll ja vorkommen.

Da kommen dann plötzlich strange Sachen hoch, z.B. sind wir eine Art Pilz? Wenn aus ein paar Zehntausend innert einem geologischen Schulterzucken 7 Milliarden werden, kann man schon mal ne Analogie zum Schimmel bilden, der sich auf den Fried Rice-Resten in der Tupperware ausgebreitet hat. Selbst die Evolutionsforschung macht sich da so ihre Gedanken.

Jedenfalls wird einem der neuzeitliche, evolutionäre Durchmarsch unserer Spezies ziemlich bewusst und prompt kommt die nächste Frage hoch: „wa…äh…nun, ja, warum eigentlich wir?“

Ein Erklärungsversuch: Wir haben innovatives Greifwerkzeug, nen funky Frontallappen mit Abstraktions-Upgrade, sind fähig zur Kommunikation und Kollaboration. Ausserdem, in klassischem Henne/Ei-Verhältnis: wir gehören tendentiell zur neugierigen Sorte und können auf Veränderungen reagieren. Gutes Beispiel: Das Smartphone.

Das halbe Sortiment von Interdiscount anno 1990 passt jetzt in unsere Hosentasche, inklusive einem kompletten, sich quasi stetig selbst aktualisierenden Brockhaus.

Mit Siri ist auch noch ein Gesprächspartner dabei, dessen seltsame Persönlichkeit zwischen „totally not a robot“ und „ich weiss im Fall alles über dich. Alles.“ einzuordnen ist. Der Aufstieg zum Basic Tool heutiger menschlicher Existenz ist unbestritten, es ist der Faustkeil der Gegenwart.

Wie haben wir das geschafft?

Wie so vieles äusserlich Grossartiges: mit Bauen, Vermasseln, Lernen, Verbessern und das mit unersättlichem Eifer, Kollateralschäden und ökonomischer Logik.

Die Ambivalenz dieser Entwicklung ist gross.

Langeweile, Musse und Unerreichbarkeit sind pflegenswürdige Tugenden geworden, zunehmend sogar gesundheitliche Notwendigkeiten. Die heissen jetzt „Digital Sabbaticals“ und werden paradoxerweise gerade von jenen besonders gepflegt, die massgeblichen Anteil an der Entwicklung der Technologie hatten. Zur gebotenen Vorsicht im Umgang hat Lorenz König hier schon eloquent den Mahnfinger gehoben, aus gutem Grund.  Mittlerweile sind die Dinger zehn Jahre alt und haben sich vom Luxusartikel zum Alltagsgegenstand gewandelt; über ein Drittel der Menschheit besitzt heute mindestens ein Smartphone, eine Entwicklung deren Folgen wir nur in Echtzeit beobachten und vorsichtig abschätzen können.

Doch bei allem Respekt vor den Herausforderungen die uns da blühen, es lohnt sich auch mal ein bewusster Blick auf die positive Seite:

Smartphones haben die Wissensvermittlung demokratisiert, Informationen fliessen direkter als je zuvor.

Wir sind alle verbunden, nicht nur über statische Knotenpunkte, sondern auch in Bewegung, egal wo (nervige Funklöcher (hey ciao Bettingen) ausgenommen). Wir können Schlangen-Gifs übermitteln, soziale Bewegungen starten, die geopolitische Situation im Iran diskutieren, Kafka als Audiobuch hören oder der Welt zeigen, wie wir in slow motion versagen.

Und damit wären wir wieder bei der Pilz-Analogie, nur etwas appetitlicher. Das was wir als Pilz bezeichnen, so mit Hut und Stiel, ist nämlich nur der Fruchtkörper. Darunter, im Boden oder im Holz, liegt das sogenannte Myzel, der vegetative Unterbau, der nur bei den passenden Bedingungen einen Fruchtkörper bildet.

Das Myzel wird heute gerne mit dem Internet verglichen. Wenn es nämlich grad keinen Bock auf den überirdischen Bau spektakulärer Gebilde hat, übermittelt es durch das Erdreich Informationen und Nährstoffe zwischen Pflanzen und fördert damit ihr Wachstum und ihre Reaktivität auf Umwelteinflüsse. Und es wird amigs recht gross. Verdammt gross.

Also: yep, wir sind ein Pilz. Wir sind gewachsen, indem wir uns den Bedingungen angepasst haben. Immer wieder. Und Smartphones sind unser neuer selbstgebauter Router zu unserem neuen selbstgebauten Kommunikations-Myzel. Und wir sollten sie mit einer gesunden Mischung aus Dankbarkeit und Vorsicht einsetzen.

Weiterführende Gedanken, wie sich das interpretieren lässt, ohne zwischen Simulationshypothesen und esotherischem Sumpf aufgerieben zu werden, die gibt’s dann ein anderes Mal.

 

Gastblogger Nik von Frankenberg macht viel mit Musik, einiges am Radio und liest zuviel Zeug im Internet.

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Chaos, Kunst und Kollaboration

Was passiert, wenn eine Social Media-Seite ihren Usern eine freie Fläche zur Verfügung stellt? Reddit hat sich in seinem alljährlichen April Fools-Experiment damit auseinandergesetzt.

Das Problem an einem halbgaren Digital Sabbatical ist, dass das aktuelle Weltgeschehen doch irgendwie durchsickert. Um nicht im nebulösen Halbwissen zu ertrinken, wirft man dann kurz nen Blick ins mediale Schattentheater und ergötzt/erregt sich an den geopolitischen Ränkespielen, die bei Game Of Thrones oder House Of Cards wegen Unglaubwürdigkeit wohl längst auf dem Boden des Cutting Rooms gelandet wären. Nach globaler Kommunikation oder gar Kollaboration sieht das alles jedenfalls nicht aus. Eher nach zunehmend regressivem Fäkalienwerfen.

Konsequent zu Ende gedacht, kommt da die Frage auf, ob Unsicherheit und Chaos das Schicksal der Menschheit ist. Quasi das logische Resultat dieser kuriosen Simulation, basierend auf ein paar physikalischen Gesetzen, einer Auswahl biologisch begründeter Verhaltensmöglichkeiten und sonst mehr oder weniger Raum für die Ausbreitung eines augenscheinlich freien Willens (lassen wir für den Moment die Glaubensebene mal weg, sonst artet es aus). All unsere Sorgen, Träume und Bedürfnisse: letztendlich nur Zeilen eines Codes, cursed to end in entropy. Das tut ein bisschen weh, weil doch aus subjektiver Sicht vieles ganz wahnsinnig bedeutsam erscheint: Die wahre Rolle des orangegefiederten POTUS,  der Opel mit der Aargauer Nummer, der (schon wieder) auf dem Lieblingsparkplatz steht, Person X, die neulich etwas komisch gekuckt hat, als man sie um halb vier Uhr morgens in einer Bar angetroffen hat.

Durchaus recht wichtig, das alles. Da muss Ordnung und Übersicht rein; bloss keine Unsicherheit, bloss kein Chaos.

Um so faszinierender, wenn man dann selbst Zeuge eines Experiments werden darf, welches die Mikro-, Makro- und Metaebene unseres menschlichen Beisammenseins wunderbar aufzeigt. Und das gerade dank dem Chaos.

Am 1. April wurde in einem Subforum von Reddit (die selbsternannte „Frontpage of the Internet“) eine 1024 X 1024 Pixel grosse, leere Fläche zur Verfügung gestellt, versehen mit denkbar simplen Regeln: alle paar Minuten hatte man die Möglichkeit, die Farbe eines einzelnen Pixels zu bestimmen. Nach 72 frenetischen Stunden endete „r/place“ und die, vermutlich in die Millionen gehenden, Teilnehmer rieben sich die Augen.

Was war in den 72 Stunden geschehen? Erst mal nicht allzu viel, ein bisschen wahllose Farbspielerei. Dann entstanden Muster, Patterns, erste Schriftzüge. Es wurde klar, hier wird zusammengearbeitet. Die User lernten mit den Regeln zu spielen und erstellten Scripts, die komplexe Symbole ermöglichten. Populär waren (what else) Abbilder diverser Memes, bald kamen bekannte Logos und Kunstwerke hinzu.

Kommunikation lief vor allem über r/place, aber auch in einer wachsenden Zahl eigens erstellter Subreddits wurde eifrig diskutiert. Taktiken wurden entwickelt, um z.B. die eigenen Werke vor Invasion zu schützen, mit Anderen zu fusionieren oder Neue zu gestalten.

Es dauerte nicht lange, bis sich expandierende Nationalflaggen in die Quere kamen und „Krieg“ ausbrach. Schweden vs. Dänemark, Iran vs. Pakistan, Deutschland vs. Frankreich. Auf den Krieg folgte der Frieden und das paneuropäischen Schlachtfeld zeigte am Ende eine Europaflagge. Der Auftritt einer offenbar führungslosen, alles verschlingenden schwarzen Masse in der Mitte des Feldes liess Trump-Anhänger und -Gegner zu Verbündeten werden und inmitten des vormals schwarzen Lochs wehten schliesslich die Stars & Stripes. Und das sind gerade mal eine Handvoll von unzähligen kollaborativen oder kompetitiven Schauplätzen. Das Endresultat war ein unermesslich reiches, kurioses und faszinierendes Sammelsurium der Netzkultur, Stand 2017.

 

 

Aber was genau war, oder ist nun „r/place“? Nur eine weitere Variante des Open Canvas wie Drawball oder der MillionDollarHomepage, nur jetzt, Dank der Reddit-Dynamik mit mehr Aufmerksamkeit? Ist es der visualisierte Fiebertraum eines kurzlebigen Cloud-Bewusstseins, eine Art Urform (semi-)künstlicher Intelligenz? Bloss eine chaotische und irrelevante Sammlung aktueller Memes? Eine Gesellschafts-Simulation, zynisch durchgeführt als Aprilscherz? Oder gar eine faszinierende Analogie zur Allgemeingültigkeit der hinduistischen Dreifaltigkeit aus Kreation, Erhaltung und Zerstörung, wie es der US-Blog Sudoscript sehr eloquent formulierte? Reddit selbst versuchte gar nicht erst eine abschliessende Antwort zu finden, sondern postete zwei Wochen später eine knappe Zusammenfassung, die weiteres Stöbern erleichtert, samt links zu User-generierten Timelapse-Videos, interaktiven Karten und sogar einer animierten Heatmap.

 

 

r/place war ein bisschen von allem und gleichzeitig viel mehr. Das ist zwar eine sehr unbefriedigende Schlussfolgerung, aber auch ein Hinweis darauf, dem Chaos nicht immer ganz so ängstlich gegenüber zu treten. Wenn mit so wenigen Regeln in so kurzer Zeit aus Nichts etwas so Vielschichtiges entstehen kann, alleine auf Grund von Kollaboration und Kooperation, dann wird klar, was eigentlich möglich ist. Zeit, dem Chaos auch mal eine Chance zu geben und einfach mitzumachen, egal ob Simulation oder nicht.

 

Gastblogger Nik von Frankenberg ist freischaffender Musiker, Blogger und Handlanger.

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