Lifestyle

Schenkt mir nichts zu Weihnachten

Nein, danke! Echt lieb von dir. Aber spar dir die Zeit, die Nerven und das Geld für mein Weihnachtsgeschenk. Wieso?

Deswegen: Du überlegst dir ab November schon: «Was soll ich dem Lorenz eigentlich schenken?». Dieser Gedanke belagert und quält dich bis zum 24. Dezember. Dann musst du – aus deiner Sicht notgedrungen – etwas kaufen.

Du gräbst dich also zielstrebig und entschlossen durch die Menschenmassen der Stadt auf der Suche nach einem passenden Geschenk.

In einem überteuerten Pop-up-Store dann die Erlösung: Du siehst einen japanischen Roboter aus den 80ern zum selber Zusammensetzen und biegst dir meine Vorlieben so lange zurecht, bis du mich und den japanischen Roboter aus den 80ern zum selber Zusammensetzen als Super-Match erachtest.

Du blätterst unverhältnismässige 120 Franken auf den Tisch, läufst aber mit einem guten Gefühl der Erlösung aus dem Laden und fügst dich wieder in den Geschenke kaufenden Menschenstrom ein, der durch die Innenstadt fliesst.

Dilemma an der Weihnachtsfeier

Schnitt zur Weihnachtsfeier am 25. 12. leicht ausgepowert und ziemlich pleite aber voller Gschenkli-Übergabe-Euphorie stehst du vor mir und überreichst mir das Schuhkarton-grosse Geschenk mit der grellfarbenen Verpackung, dem Schnörkel und dem Kleber des Logos des teuren Pop-up-Stores.

Meine Emotionen: «Uh, Gschenkli, was wohl da drin sein mag?»

Ich mache mich – jede Handbewegung unter deiner erwartungsvollen Beobachtung – daran, das Geschenk auszupacken. Doch als mich der japanische Roboter aus den 80ern zum selber Zusammensetzen mit seinem starren Robotergrinsen herausfordernd ansieht, weicht die von meiner Neugierde und deiner Grosszügigkeit induzierten Freude einem Unbehagen.

Folgende Gedanken jagen mir in diesem Moment durch den Kopf:

  • «Was zur Hölle soll ich genau mit diesem Gerät?»
  • «Ich versuche, seit zwei Jahren so wenig zu besitzen wie möglich und du machst mir einen Strich durch die Rechnung!»
  • «Aber eigentlich ist es ja superlieb von dir, dass du mir etwas schenkst und dein Gehirnschmalz und dein Geld dafür geopfert hast. Na super, jetzt stürze ich in ein Dilemma!»

Selbstverständlich sage ich diese Dinge nicht. Stattdessen setze ich diese Mimik auf, die man aufsetzt, wenn man sich genötigt fühlt, Wertschätzung zu zeigen, einem aber gar nicht danach ist.

Ich dopple natürlich noch nach mit der Vorgaukelei und sage Dinge, wie:

«Oh, wow, vielen Dank dir!», in der Hoffnung, dass meine Enttäuschung nicht durchdrückt.

Spätestens dann merkst du aber, dass ich nicht 37 Jahre meines Lebens auf dieses Geschenk gewartet habe, wie du ursprünglich gedacht hast.

Und jetzt bist du enttäuscht. Während des ganzen Prozederes höre ich links und rechts von mir Aussagen wie: «Diese selbst gestrickte, braungrüne Decke mit den orangen Fransen hab ich mir schon immer gewünscht», und bin überrascht, dass meine Grosstante so ungeschminkt und gut lügen kann.

Irgendein Geschenk muss her

Zugegeben: Ich will nicht der Loser sein, der mit leeren Taschen am Weihnachtsfest erscheint, da verfängt der Gruppenzwang bei mir.

Ich bringe also allen eine kleine Wertschätzung mit. Meistens in Form von Champagner oder Schokolade. Sonderlich kreativ ist das nicht, ich weiss.

Aber ich wette, dass bis jetzt jede Moët & Chandon-Flasche getrunken und jede Läderach-Schokolade gegessen wurde, die ich verschenkt habe.

Ein perfektes Geschenk

Der Zeitpunkt für das perfekte Geschenk ist nicht Weihnachten, es ist auch nicht Geburtstag.

Der Zeitpunkt für das perfekte Geschenk ist immer – 365 Tage im Jahr.

Vor zwei Jahren holte mich mein Vater von der Arbeit ab und wir fuhren zusammen in seinem Saab ins Waldhaus Sils, weil wir im Waldhaus in Sils überwintern, weil mein Vater unermesslich reich ist und ich eigentlich gar nicht arbeiten müsste, weil wir uns gemeinsam ein Wochenende im Waldhaus leisteten.

Auf der Höhe von Sargans sagte er zu mir: «Schau mal hinter deinen Sessel, da liegt was für dich». Ich griff also mit der linken Hand nach hinten und ertastete etwas, das sich wie eine kleine Tasche anfühlte. Mit verrenkten Körper zog ich meinen Fund nach vorne und legte ihn auf meinen Schoss.

Es war eine Spiegelreflexkamera. Ich wollte schon länger eine Spiegelreflexkamera, konnte aber nie das nötige Budget aufbringen. Deswegen bat ich regelmässig meinen Vater, ihm seine Kamera auszuleihen. Er wusste, dass ich sie brauchen konnte. Als er ein Angebot sah, hat er an mich gedacht, zugeschlagen und mir damit eine grosse Freude bereitet.

Die Kamera ist mein Begleiter, egal ob in den Ferien oder wenn ich durch Zürich oder Basel spaziere.

Materielles? Zeitverschwendung!

Es gibt Lucky Shots, wie die oben erwähnte Kamera. Aber in der Regel landen Geschenke im Estrich, Keller oder auf Ricardo.

Wieso zur Hölle schenken wir uns überhaupt so viel Materielles? Wir können uns ja eh schon alles auf Knopfdruck online bestellen? Und wir beklagen uns doch andauern, dass wir «endlich wieder mal ausmisten müssten».

Das grösste Geschenk ist Zeit – alleine oder zusammen.

Und die wird uns genommen, weil durch die Schenkerei noch mehr Mist anfällt, den wir dann entsorgen müssen.

Wir können zeigen, dass wir uns gern haben, ohne grosse Geschenke, die wir uns aus den Fingern saugen müssen. Lieber weniger Geschenke und dafür zum richtigen Zeitpunkt.

Und dieser Zeitpunkt ist immer.

 

Gastblogger Lorenz König macht Marketing bei wemakeit und Musik in Bars. Seine Gedanken zum Gang der Welten veröffentlicht er hier auf eyeblogyou und auf seinem Blog Boom-Town, sag hallo auf Facebook oder Instagram.

 

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Culture

Sex, Drugs und Bünzlitum

Der Spiessbürger war für mich lange Zeit das Schreckensgespenst schlechthin: Konservativ, engstirnig und konformistisch. Mittlerweile bin ich selbst Bünzli. Der Grund liegt beim Älterwerden aber auch daran, dass sich das Spiessbürgertum verändert hat.

Die Nachbarn von meinem Elternhaus am Giebenacherweg 1 hiessen – ohne Witz – Biedermann. Zwischen den Hausnummern 1 und 2 waren die Rollen klar verteilt: Wir waren die Anarchisten (Gebrüll, Musik mit 90 Dezibel und ein Garten, der aussah wie ein zerbombter Spielplatz) und sie die Angepassten (Kirche am Sonntag, gemähter Rasen und Nachtruhe um 22:00) – die Bünzlis.

Ich platzierte diese Form des Lebens irgendwo zwischen Fegefeuer und Hölle: zu konform und engstirnig, um Spass zu haben, zu weit unter dem Tellerrand, um drüber zu schauen und die Wunder des chaotischen Lebens zu erblicken.

Leben bedeutete für mich, Grenzen auszuloten und Regeln zu brechen. Entsetzte Lehrer, Bussen und ein malträtierter Körper waren für mich schlimmstenfalls Kollateralschäden, die ich gerne in Kauf nahm. Diese Haltung trug ich bis lange in die Adoleszenz hinein mit mir rum, zusammen mit meinem Gras, meinen Spraydosen und meinen Baggy-Pants.

Der Bünzligeist geht um

Fünfzehn Jahre später haben sich die Dinge geändert. Mit bald vierzig nerve mich ab den Besoffenen und den Teenies, die um 22:40 draussen rumschreien, und den Velofahrern, die das Trottoir als Rennstrecke benutzen.

Ich putze die Wohnung jede Woche, denn Unordnung und Staub kann ich genauso wenig ausstehen, wie unbeglichene Rechnungen. Montags kaufe ich jeweils für die ganze Woche ein und der Mittwoch ist für alle administrative Aufgaben reserviert, die in einem geordneten Leben so anfallen.

Wäre Papier-Bündeln eine Olympiadisziplin hätte ich mir schon lange ein Goldmedaille erknotet.

Würde es die Schweiz China gleichtun und ein Sozialkredit-System einführen, mit dem sie das wünschenswerte Verhalten der Bürger beziffert, bekäme ich die Höchstnote. Und ich bin nicht alleine, Freunde, die einst voller Tatendrang in die grosse Welt aufgebrochen sind, ziehen mit Kind und Kegel nach Riehen oder Bettingen. Das Spiessbürgertum hat uns eingeholt.

 

Rock’n’roll non-stop ist anstrengend

Ich sehe drei Gründe für diese Entwicklung, die nicht direkt zusammenhängen.

Älterwerden: Wenn die antiautoritären Energien abgewetzt sind und die Arbeitswochen strenger werden, sehnen wir uns nach Sicherheit und Erholung. Rock’n’Roll non-stop ist nun mal anstrengend und lässt sich schwer mit einer 42-Stundenwoche, Grossraumbüro und anspruchsvollen Chefs vereinbaren. 

Multioptionsgesellschaft: Je vielfältiger die biografischen Optionen sind und je weniger Grenzen die Gestaltung unseres Werdegangs limitieren, desto stärker wird das Verlangen nach Ordnung in Heim und Alltag. Es geht ja auch darum, dass wir uns in der Welt aufgehoben und nicht in die Welt geworfen fühlen, wie Soziologe Hartmut Rosa mal meinte. Und das Bünzlitum bietet genau das.

 

Der Neo-Bünzli ist da

Der dritte Grund hat mit der sich verändernden gesellschaftlichen Rolle von Antiautoritären Kräften und Spiessbürgertum.

Viele Denken beim Spiesser an einen Typen mit Eigenheim, Doppelgarage und Schrebergarten. Aber in unserer postmodernen Spassgesellschaft ist dieser Füdlibürgerschlag ein Auslaufmodell.

Den Spiesser findest du auch in den linksprogressiven Ballungszentren, wie Zürich oder Basel.

Wieso? Der Kapitalismus hat mittlerweile jene Kräfte nivelliert, die sich in der Kulturgeschichte unversöhnlich gegenüberstanden: Das Spiessbürgertum und die aufbegehrende Jugendkultur.

In Zeiten in denen Skater zu Louis Vuitton Design Chefs werden und Rapper Haute Couture bewerben, in einer Welt, wo Clubkultur und ihr vermeintlicher Eskapismus zu einer Milliardenindustrie mutieren, wird Distinktion zur Phrase – und die Grenzmauer zwischen Gegenkultur und Bourgeoisie zu einem Zäunchen.

Selbstverwirklichung ist Mainstream und hat nur noch wenig mit Aus-Der-Reihe-Tanzen zu tun. Als Teil der akzeptierten Gesellschaftssphäre verwebt sich der Individualisierungsdrang mit dem Spiessbürger-Haltung und, tadaa, schon haben wir den Urbanen Spiesser.

Der Urbanen Spiesser hat keinen Schrebergarten, vielleicht nicht mal ein Auto. Auch schlägt er ab und zu über die Stränge. Aber seine Wohnung ist aufgeräumt, seine Rechnungen bezahlt, sein Abfall getrennt und am Wochenende trifft man ihn mit der NZZ am Sonntag an der Buvette am Rhein.

Ich würde gerne mit meinen ehemaligen Nachbarn einen Kaffee trinken gehen. Womöglich sind wir uns mittlerweile ähnlicher als ich mir je hätte träumen lassen.

 

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Reden für Dummies – Dialog ist nicht nur im Netz für den Arsch

Alle jammern, dass im Internet kein anständiger Dialog zustande kommt. Dabei kacken viele schon beim Offline-Gespräch ab: Sie labern irrelevanten Müll oder hören nicht zu.

Ich kann nicht anders. Ich muss hinhören, wenn der Alte im Zugbistro sein Gegenüber volllabert.

Und er labert laut, lange und lückenlos.

Wie ein Maschinengewehr mit endloser Munition feuert er Meinungen und vermeintliches Wissen auf seinen machtlos da sitzenden Gesprächspartner ab.

Wieso Letzterer noch nicht aufgestanden ist, ihm das restliche Bier über den Kopf geleert und das Abteil gewechselt hat, ist mir rätselhaft. Ich sehe zwei mögliche Gründe.

  1. Er ist dermassen begeistert von dem Geblubber des Alten, dass er an seinen Lippen hängt und sich wünscht, diese Zugfahrt würde nie enden.
  2. Er hat schon lange auf Durchzug geschaltet, lässt resigniert die Quassel-Flutwelle auf sich niederprassen und hofft, dass der Zug endlich in Basel ankommt.

Ich tippe auf Nummer zwei.

Vier Typen von Dialog-Assis

Ein Dialog muss anders verlaufen als dieses Zug-Gespräch – austausch- und interessensbasierter.

Heruntergebrochen auf einzelne Schritte heisst das: Zuhören, verarbeiten, antworten, eine (verbale oder nonverbale) Reaktion abwarten, repeat.

Auf den ersten Blick simpel, doch viele Menschen kriegen das nicht hin. Ich kenne vier Typen, die an diesem Ablauf scheitern oder ihn ignorieren.

  1. Die Gesprächspiraten: Sie Kapern das Gesprächsthema und die Gesprächszeit. Sie müllen dich mit Geschichten und Meinungen zu. Dabei versichern sie sich auch nicht nur einmal, ob dich ihr Gequassel überhaupt interessiert. Unser Quassel-König von der Zugreise? Ein Gesprächspirat.
  2. Die Selbstzweck-Plauderer: Sie reden, damit geredet wird, und schenken dem Inhalt deiner Aussagen entsprechend wenig Aufmerksamkeit. Du erkennst sie daran, dass sie deinen Satz bejahen, bevor du ihn überhaupt zu ende gesprochen hast. Du könntest sagen: “heute hätte ich Lust, drei Katzen zu zerstückeln, wäre das nicht schön?”, und von ihnen ein “Ja, das wäre mega!” als Antwort erhältst.
  3. Die Verhörer: Sie ballern dich mit zusammenhanglosen Fragen zu, ohne auf deine Antworten einzugehen. Meistens schieben sie die nächste Frage nach, während dem du noch die vorangegangene Frage beantwortest. Ein Dialog, bei dem beide Fragen stellen, wird damit unmöglich. Wäre dieses Gespräch ein Tennisspiel, würden dich die Verhörer mit ihren Schmetterbällen über den Platz jagen. Du kommst nie dazu, einen anständigen Ball zu spielen, weil du jeden Ball retten musst.
  4. Die Dampfwalzen: Wie den Verhörern ist es auch den Dampfwalzen ziemlich Banane, dass du gerade dabei bist, etwas zu sagen, das du dir gut überlegt hast und gerne vermitteln willst. Im Gegensatz zu den Verhörern überfahren sie deine Aussage mit eigenen Meinungen oder sonst was, das ihnen durch den Kopf geht.


Es ist kompliziert

Fairerweise muss man sagen, kommunizieren ist nicht einfach. Ich kram jetzt die Überreste meines Uni-Wissens hervor. Soweit ich mich erinnern kann, meinte der Kommunikationstheoretiker Nikals Luhmann, zwischenmenschliche Kommunikation sei verdammt schwierig:

Zuerst muss ich die Gedankenfetzen in meinem Gehirn zu einem logischen Ablauf ordnen. Anschliessend muss ich diesen Ablauf in dieses ziemlich limitierte Medium giessen, das wir Sprache nennen. Dann muss ich hoffen, dass mein Gegenüber meine Worte so encodiert und interpretiert, wie ich mir das vorgestellt habe.

Spätestens beim Interpretieren wirds richtig kritisch. Denn jede Person verknüpft ihre eigenen Erfahrungen mit den von mir gesagten Dingen und versteht diese dadurch komplett anders.

Dass alle labern, heisst nicht, dass jeder es kann

Ja, wir labern alle die ganze Zeit – aus Höflichkeit, weil wir uns vor kollektiver Stille fürchten und weil wir unsere Meinung äussern, um unsere Identität zu festigen.

Wir labern aber auch, weil Kommunikation in so ziemlich allen Lebensbereichen verdammt wichtig ist.

Doch beim miteinander Sprechen ist es wie beim Tanzen, nur weil jeder es macht, heisst es nicht, dass jeder es kann. Die einen haben den Rhythmus im Gefühl, die anderen gehen in Kurse und lernen das Tanzen  – und wiederum andere zappeln auf der Tanzfläche rum wie ein Fisch, denken aber sie seinen John Travolta in Night Fever.

Also: Kommunikation ist in der analogen Welt schon schwer genug, kein Wunder, ist der Dialog im Netz so für den Arsch. Schauen wir doch, dass wir mal richtig miteinander sprechen lernen, bevor wir dem Internet die Schuld zuschieben.

 

 

Gastblogger Lorenz König macht was mit Medien und ab und zu was mit Musik. Seine Gedanken zum Gang der Welten veröffentlicht er auf dem Blog Boom-Town (https://medium.com/boom-town), sein Twitterhandle lautet: @lorenzkoenig

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Viel Arbeit? Hör auf zu klagen! Nichtstun ist die Zukunft

“Ich hab viel zu tun”: Täglich hören wir diesen Satz, egal ob im Büro, in der Mittagspause oder wenn wir einem Freund auf der Strasse begegnen. Der Satz ist zur Standardantwort avanciert, wenn man fragt, “wie gehts” – die Antwort “gut” war gestern. Dabei ist dieser Satz aus drei Gründen problematisch.

Grund 1: Faulheit ist die letzte Todsünde

Leute, die sich über ihren Berg an Arbeit beklagen, machen es sich leicht – zumindest aus einem kulturellen Gesichtspunkt. Denn wer viel arbeitet, der ist eins sicher nicht: faul. Und was gibt es Schlimmeres, als als Schlaffi wahrgenommen zu werden! Faulheit ist in unserer Leistungsgesellschaft die letzte verbliebene Todsünde: Ehebruch? Wenn juckts! Lügen? Im postfaktischen Zeitalter ein Kavaliersdelikt. Eitelkeit: Instagram ist ein Jahrmarkt der Eitelkeit. Die Anzahl monatliche Nutzer dieses Sozialen Netzwerks? Eine Milliarde. Und so weiter.
Ist jemand mit Arbeit eingedeckt, impliziert das, dass diese Person das Gegenteil von faul ist: Sie ist fleissig, zuverlässig und zudem ein gefragter Auftragsempfänger. Ihre Vorgesetzten decken sie mit Arbeit ein, weil sie wissen, diese Person liefert, und das gut und schnell. Und wenn Faulheit die letzte Todsünde ist, ist Leistung durch harte Arbeit die vorherrschende, jeden Gesellschaftsbereich dominierende Tugend. Wir haben Gott und die Kirche hinter uns gelassen, aber die Protestantische Arbeitsethik haben wir noch nicht abgestreift. Auch Bukowski hatte das erkannt und forderte in seinem Roman Faktotum: Es sollte auch für Menschen ohne Ehrgeiz einen Platz geben: ich meine, einen besseren als den, den man ihnen gewöhnlich reserviert.

Grund 2: Clever arbeiten ist besser als viel arbeiten

Wieso sagen Leute nicht: “Ich arbeite nicht hart und lang, ich arbeite clever. Ich hab einige der mir zugeteilten Aufgaben nicht erledigt, weil ich weiss, dass sie niemandem einen Mehrwert bieten. Dafür bin ich etwas früher nach Hause gegangen und hab den Abend genossen. Am nächsten Tag kam ich frisch erholt ins Büro, mein Kopf war voll mit wunderbaren Ideen.” Oder um es mit Steve Jobs zu sagen: «People think focus means saying yes to the thing you’ve got to focus on. But that’s not what it means at all. It means saying no to the hundred other good ideas that there are. You have to pick carefully.»

Natürlich braucht es Selbstvertrauen zu sagen: “Das mache ich nicht, weil ich den Mehrwert dahinter nicht sehe. Weil es weder Geld bringt, noch jemandem unmittelbar nützt. Weil es nur bürokratischer Mist oder Wir-haben-das-immer-schon-so-gemacht-Müll ist.” Zum Glück gibt es berühmte Vorreiter. Nobelpreisträger Richard Thaler sagt von sich selbst, er sei faul. Er kümmere sich nur um diese Dinge, die wichtig sind und die er gerne mache. Für einen Nobelpreis hat es immerhin gereicht.

Grund 3: Schufterei killt Kreativität

Nichtstun ist die Zukunft. Oder was machst du, wenn die Roboter deinen Job übernommen haben? Zugegeben, wenn du diesen Blog liest, werden die Roboter deinen Job nicht so schnell übernehmen, da du wahrscheinlich eine höhere Ausbildung hast und/oder eine kreative oder konzeptionelle Arbeit verrichtest. Aber gerade im konzeptionellen Bereich ist es unglaublich wichtig, dass du Zeit für Musse hast. Denn im Zustand des Nichtstuns kommen die richtig guten Ideen. https://qz.com/705782/the-best-productivity-hack-when-youre-stuck-is-to-do-nothing/

Also trau dich, deine Arbeit zu ändern und zu sagen, dass du nicht mehr hart arbeitest, sondern smart.

 

 

 

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Allgemein

Prokrastinieren für Profis

Ich bin Meister der mangelnden Selbstdisziplin. Ich bin darin dermassen gut, dass ich sogar Tätigkeiten aufschiebe, die mir Spass machen. Eine Suche nach einer Erklärung und Tipps für mehr Produktivität.

Dieser Blogpost ist das Resultat einer unerbittlichen Schlacht. Nein, sie fand nicht zwischen mir und den Leuten von eye love you statt. Gegeneinander angetreten sind ich und mein innerer Schweinehund – und wir haben uns nichts geschenkt.

Es ist Freitag, draussen scheint die Sommersonne und ich sitze motiviert in meinem Stamm-Café. Das Ziel heute: einen Text über Prokrastination zu schreiben. Und ich bin bereit. Die Kaffee-Tasse ist leergeschlürft, mein iPhone in der Tasche verstaut und ein blankes Schreibdokument leuchtet jungfräulich auf dem Display meines Laptops. Noch bin ich zuversichtlich, mein Ziel heute zu erreichen. Noch.

 

Handykabel entknoten statt schreiben

«Es ist erst 10 Uhr und der erste Satz braucht immer Zeit»,

denke ich und hole mir ein Glas Wasser, in der Hoffnung, dass mich ein hydriertes Gehirn weiterbringt. Die erhoffte Eingebung bleibt aber nach der Erfrischungspause – die eigentlich gar keine Pause war, weil ich noch gar nicht mit dem Arbeiten angefangen habe – aus. Ich starte den zweiten Versuch, bringe meine Finger in Position und fokussiere mich – doch schnell wandern meine Gedanken weg vom Thema Prokrastination hin zum Thema Essen. Ich hole mir also ein Gipfeli und fülle meinen Magen statt das Dokument. Es ist mittlerweile 10 Uhr 45 und das Laptop-Display leuchtet weiterhin leer vor sich hin. Mit Gipfelikrümel in meinem Bart und der davon laufenden Zeit im Blick lanciere ich Versuch Nummer drei, es folgen die Versuche Nummer vier und Nummer fünf. Alle scheitern. Denn egal ob der Instagram-Feed, der überprüft, die Spotify-Palylist, die angepasst, oder das Handykabel, das dringend entknotet werden muss: eine Ablenkung findet sich immer. Und so wird es Mittag und das Display leuchtet mich weiterhin weiss, herausfordernd und vor allem leer an.

 

 

Die «nur-noch-schnell»-Kunst perfektioniert

Prokrastinieren ist unproduktiv, prokrastinieren ist frustrierend und prokrastinieren ist etwas, das ich sehr gut kann. Ich habe die «nur-noch-schnell»-Kunst perfektioniert. Mein Schatz an Mikroaktivitäten, die ich stets als Alternativen zu relevanten Aufgaben ausgrabe, ist unerschöpflich. Aus psychologischer Sicht heisst das, ich strebe nach sofortiger Befriedigung («Instant Gratification») und scheitere an dem verdienstvollen, aber mit viel Selbstdisziplin verbundenen «Belohnungsaufschub». Anders gesagt: Ich lege superkurze Sprints zurück, die zu einem kurz anhaltenden Glückskick führen. Beim Marathon, der eine langfristige Genugtuung nach sich zieht, schaue ich in die Röhre.

 

Wieso um Himmelswillen prokrastiniere ich?

«Die Arbeit beginnt, wenn die Angst, nichts zu liefern grösser wird als die Angst, etwas schlechtes zu liefern»,

sagt der britische Schriftsteller Alain de Botton. Auch ich habe Angst, wenn ich vor dem Computer sitze oder wenn ich mich ins Studio begebe. Angst davor, an meinen eigenen Ansprüchen zu scheitern, Angst davor, ein schlechtes Feedback zu erhalten.

 

Der Reiz des Marathons

Die zweite Frage, die ich mir im Zusammenhang mit Prokrastination stelle: Sind meine vermeintlichen Leidenschaften wie Musik machen und Schreiben vielleicht gar keine Leidenschaften? Schliesslich kosten sie mich ja Überwindung. Eine Frage, die man nur nach einem vollbrachten Werk und mit dem Blick in den Rückspiegel beantworten kann. Es ist das fantastische Gefühl, etwas erschaffen zu haben. Und das, in einem Bereich, der einem am Herzen liegt. Denn wenn das Dokument nicht mehr blank ist, sondern aus Titel, Lead und Absätzen besteht, wenn man auf “veröffentlichen” klicken kann und der Artikel online ist, dann merkt man einmal mehr, dass sich die Überwindung gelohnt hat und die Schlacht gegen den Schweinehund gewonnen und der Marathon bewältigt ist. Dann ist das Gefühl umso besser. Ich weiss, dass ich durch das Tal der Tränen gelaufen bin und als etwas grösserer Mensch auf dem Gipfel der Genugtuung angekommen bin.

 

Get Shit done!

Anti-Prokrastinationstipps, zusammengestellt aus endloser Lektüre von Blogpost und Konsultation von Youtube-Videos.

  • Die Deadline ist der einzige Freund der Kreativen. Setze dir eine Frist.
  • Setze auf «better done than perfect» und fokussiere dich auf Prozess, nicht auf das Resultat: Im Rahmen eines Experiments erhielt eine Gruppe den Auftrag, so viele Töpfe wie möglich herzustellen. Die zweite Gruppe erhielt den Auftrag, den perfekten Topf zu produzieren. Das Resultat: Die erste Gruppe kreierte nicht nur mehr Töpfe, sondern auch die besseren.
  • Breche deine Aufgaben in Häppchen herunter und nutze die Pomodoro-Technik: Teile die Aufgaben in 25-Minuten-Tranchen. Fokussiere dich während dieser Zeit nur auf diese Aufgabe. Anschliessend machst du fünf Minuten Pause.
  • Kaum stehe ich vor einer Aufgabe, die meinen Arbeitsflow unterbricht, weil sie komplex ist oder ich sie als unangenehm empfinde, sucht mein Gehirn nach einer Ablenkung. Kommt dir bekannt vor? Der Grund liegt darin, dass dein Gehirn Gewohnheiten entwickelt, durchbreche sie.
  • Last but not least: Meditiere und lerne dadurch Wachsamkeit.

 

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Wenn sich Kultur und Kreativität auf ein Bier treffen

(Kultur und Kreativität sitzen in ihrem Stammlokal an ihrem Stammtisch. Die Stimmung ist nicht die beste.)

Kreativität: Zwei Bier bitte!

Kultur: Das hab ich jetzt bitter nötig.

Kreativität: Wem sagst du das! Ich krieg gerade so ziemlich die Krise.

Barkeeper (serviert Bier): Bitteschön!

Kultur: Was? Ist’s bei dir auch so schlimm? Erzähl mal.

Kreativität: Ich komm nicht mehr zur Ruhe, alle wollen kreativ sein. Vor 1968 bin ich nur mit Künstlern, Musikern und ein paar Freaks rumgehangen. Danach wurde ich mainstream. Und jetzt, 50 Jahre später, bin ich gestresster denn je: Jede verdammte Putzequipe möchte originell daherkommen. 

Kultur: Mist, die lassen einen einfach nicht mehr leben. Kürzlich war ich bei einem KMU. Die wollen mit mir neue Mitarbeiter anlocken. Sie meinen, sie hätten eine «einzigartige Arbeitskultur». Zum Totlachen.

Kreativität: Die finden dich sexy.

Kultur: Trotzdem, die haben keine Ahnung.

Kreativität: Du und dein elitäres Getue.

Kultur: Ich kann auch populistisch sein, wenn du willst.

Kreativität: Lass das mal lieber. Bei mir ist die Situation ähnlich. Alle, vom Café-Besitzer bis zum CEO, vereinbaren ein Treffen mit mir und meinen danach: «Jetzt hab ichs raus, ich bin jetzt  genauso kreativ wie jeder Hippie-Künstler da draussen.»

Kultur: Dabei sind wir für die nur Mittel zum Zweck: Die wollen nur Geld mit uns scheffeln. 

Kellner: Noch zwei Bier?

Kreativität: Darauf kannst du einen lassen.

Kultur: Es gibt Arbeitgeber, die mich als Grund nennen, wenn sie ihren Mitarbeitern einen Hungerlohn zahlen. Wenn Praktikanten einen Lohn fordern, zeigen die Chefs auf mich und sagen: «Du darfst mit der hier zusammenarbeiten, weisst du, wie viele Menschen dafür töten würden?». Dabei gibt es Leute, die richtig Kohle machen mit mir. Für die bin ich keine Leidenschaft, sondern nur Geschäft. 

Kreativität: Bastarde

Kultur: Verdammte Bastarde!

Kreativität: Und verdammte 68er! Vorher war wirklich alles viel entspannter.

Kultur: Für dich war es das vielleicht. Ich dagegen wurde für politische Zwecke missbraucht. Du kannst dir nicht vorstellen, für welche faschistoiden Pläne die mich überall einsetzten in den 30ern. Fürchterlich.

Kreativität: Tragisch, und wie ist es jetzt?

Kultur: In Deutschland stellen die mich neuerdings als Leitkultur vor. Ich soll so sicherstellen, dass sich die Immigranten schön brav integrieren. Dann gibt es noch die Nationalkonservativen, die tun so, als wäre ich bedroht. Sie behaupten, sich um mich kümmern zu wollen, dabei wollen sie einfach ihr Fremdenhass hinter mir verstecken. 

Kreativität: Noch zwei Bier?

Kultur: Ja

(zwei Gäste betreten das Lokal)

Kreativität: Schau an, wer da kommt: Innovation und Produktivität!

Kultur: Sehen beide etwas ausgebrannt aus …

 

 

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Social Media

Ein Feed voller Blödsinn.

Facebook und Instagram bringen mich auf die Palme.

Social Media ist eine gigantische Wolke aus Lärm und einer Menge Nonsense. Das Verhältnis zwischen Nutzen und Hype steht in keinem Verhältnis. Kritische Einsichten nach sechs Jahren im Social-Media-Beruf.

Ich war bei der Neuen Zürcher Zeitung und bei 20 Minuten als Social-Media-Manager tätig, für die HSW (Hochschule für Wirtschaft) Nordwestschweiz habe ich eine Social-Media-Strategie entwickelt. Zurecht nimmst du jetzt an, ich sei ein Social-Media-Jünger, dessen Glaube an Likes, Retweets und Nutzerdialoge weder im Dies- noch im Jenseits zerbricht. Doch das ist falsch. Nach sechs Jahren bin ich genervt. Und Anlass dazu geben mir nicht nur Trolle und Datenschutzbedenken. Ich hab den Riecher voll von Instagram, Facebook und Snapchat. Dafür verantwortlich mache ich folgende vier Akteure:

Die Medien: Den schnellen Likes und Websiteklicks nachkeuchend, posten alle Redaktionen die Gleichen Beiträge. So zum Beispiel Artikel über den neuen Einhorn-Frappucino von Starbucks, Ananas-Weihnachtsbäume oder gestohlene Schokoladen-Transporter. Nichtmal sprachlich unterscheiden sich die Beiträge: Wie oft habt ihr über einem Facebook-Post schon “Wer von euch war das?”, “Ihr kennt das” oder “Wait for it” gelesen?

 

 

Auch redaktionell geben die Social Media Plattformen mit ihrer emotional aufgeladenen Sphäre den Ton an. Emotionen funktionieren prächtig in der gefühlsdusliegen Social-Media-Welt. Deswegen wird jedes belanglose Ereignis, das nur ansatzweise auf die Tränendrüse drückt und von jemandem auf Facebook dokumentiert wurde, zu einem “Viralen Hit” hochgekocht. Aber: brauchen wir ein hundertstes Babyvideo oder ein tausendstes Hundevideo in unserem Feed? Bringt das gefühlt millionste Filmchen einer herumtollende Katze uns im Leben weiter? Mich nicht.

Dann wären da die mit inflationärer Häufigkeit auftretenden Social-Media-Experten. Mit missionarischem Eifer erklären sie der Welt, dass Social Media der heilige Gral eines jeden ist, egal ob Unternehmer, Politiker oder Möchtegernpromi. Gerne feuern die selbst ernannten Fachexperten in ihren Kursen oder auf ihren Blogs ein Arsenal an Phrasen ab und sprechen von Authentizität und Interaktion auf Augenhöhe. Diese Schlagworte klingen zwar gut in der Theorie, sind aber oft ziemlich vage, wenn es um ihre praktische Anwendung geht.

Hört auf, euer Leben zu teilen

Da sind die Nutzer wie du und ich. Viele sind dem Social-Media-Sachzwang unterworfen und posten und kommentieren, was das Zeugs hält. Sie eifern ein Paar Likes nach und veröffentlichen deswegen jede Belanglosigkeit, die ihnen widerfahren ist: Mittagszeit am See? Schön! Velo hat eine Platte? Du Armer! Und wen interessiert es, dass du heute deine Grossmutter besucht hast (ausser deine Grossmutter vielleicht)? Und als würden sie uns damit nicht schon genug mit ihren Trivialitäten auf den Zeiger gehen, setzten sie unter jeden Post einen – meist – überflüssigen Kommentar.

Eine kleine Anekdote an dieser Stelle: Weil ich vor ein paar Wochen genug hatte von der Profilneurose meiner Freunde, schritt ich zur Tat. Um meinem Instagram-Feed wieder etwas mehr Sinn zu geben, beschloss ich, ihn etwas zu säubern. Ich hab dann Profilfotos von Freunden angeschaut, auf denen sie im Infinitypool oder am Strand oder mit einem Hunde-Filter posieren, und dachte “ich mag dich echt, Digger, aber ich mag dich vor allem im echten Leben” und bin ihnen entfolgt. Einige aufmerksame Freunde haben das realisiert und sich umgehen bei mir über diesen Schritt empört.

Verantwortlich mache ich auch die Plattformbetreiber selber: Die Facebooks, Instagrams und Twitters. Sie, die vortäuschen, mit ihren Kanälen die Menschen zu verbinden, es aber auf unsere Zeit und Aufmerksamkeit absehenSie, die sich – wenig überraschend – als Heilsbringer und gelobte Retter der Demokratie und der Medien inszenieren, dabei aber massenweise unsere Daten hamstern Trollen den weg freigeben und Wahlmanipulationen ermöglichen.

Weil ich mein Geld mit Social Media verdiente, war ich massgeblich an dieser Entwicklung in den sozialen Netzwerken beteiligt: Ich habe Stories geschrieben mit der Absicht, “virale Hits” zu erzeugen und mehrmals über Hunde oder Babies berichtet, ich habe Menschen dazu ermutigt, auf Social Media aktiv zu sein, obwohl sie keinen Bock hatten. Und ich habe Facebook, Twitter und Instagram mit Unmengen von Mist zugemüllt, den keinen interessiert. Ich bekenne mich schuldig.

 

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Allgemein

Leg dein Smartphone weg!

Leg dein Smartphone weg, du vergeudest deine Zeit und du schadest deiner Psyche. Du bist ein Sklave deines Handys. Doch Apple und Samsung gehen raffinierter vor als die Sklaventreiber von vergangenen Tagen. Du realisierst nicht mal, dass du ein Sklave bist – schlimmer noch: du meinst, du kontrollierst dein Handy.

 

Schau doch nur mal deine Haltung an. Du stehst da, wartend an der Busstation oder sitzend im Zug, dein Hals um neunzig Grad nach unten geneigt. Du verbeugst dich vor deinem iPhone, als wäre es dein Gebieter. Breitwillig unterwirfst du dich diesem rechteckigen Ding aus Lithium, Zink, Plastik und Glas.

Nützlich ja, aber nicht nur

Zu Recht kannst du jetzt entgegnen, das Smartphone ist der Zugang zu Information aus aller Welt und passt dazu noch bequem in meinen Hosensack. Dieses Gerät ermöglicht es mir, jederzeit und überall mit meinen Liebsten zu kommunizieren. Wie kann man da von Versklavung reden!

Das Problem: Dein Smartphone ist noch einiges mehr als Pforte zum Wissen dieser Welt und Draht zu deinen Eltern oder deiner ehemaligen Ferienliebschaft in Australien.

Es ist Datenkrake, Heroinspritze, Bullshit-Schleuder und Stressfaktor in einem.

  • Marc Zuckerberg und Co. protokollieren dein Nutzerverhalten akribisch genau. Die persönlichen Daten, die du preisgibst, spülen ihnen astronomische Mengen an Werbegeld in die Kassen. In diesem Zusammenhang gilt der breitgetretene aber treffende Satz: Du bist das Produkt.
  • Egal ob Facebook, Spotify oder Netflix, alle wollen, dass du ihnen deine Zeit schenkst. Deswegen arbeitet eine Multimilliarden-Franken-Industrie Tag und Nacht an Möglichkeiten, deine Aufmerksamkeit zu kapern. Netflix hat beispielsweise die Verweildauer seiner User massiv erhöht, indem es ihnen eine weitere Folge ankündigt, während die andere ausläuft. Die Softwareentwickler von Instagram wissen genau, wann, wo und in welcher Farbe sie Benachrichtigungen anbringen müssen, um dich auf ihre App zu locken. Ein Surren und schon bist du wieder für 10 Minuten verloren in einem Feed aus Selfies, Katzenvideos und Ferienfotos. Damit wären wir beim Thema Bullshit-Schleuder. Denn auf diese Bilder hättest du getrost verzichten können. Ihr Informationswert tendiert gegen null.
  • Und gerade weil dein Handy dir alle Dienstleistungen (wie Facebook und Co.) und Informationen in die Hosentasche liefert, fördert es deine Angst, etwas zu verpassen. Andauernd klinkst du dich auf Snapchat oder Whatsapp ein, aus Angst dir könnte etwas entgangen sein. Die ständige Erreichbarkeit resultiert im Druck, jederzeit reagieren zu müssen. Du fühlst dich genötigt, in jeder Whatsappgruppe zu antworten. Das Stresslevel steigt massiv.
  • Dein Handy ist kein Totem

 

Aber wie viele andere Zeitgenossen bist du dir diesen Tatsachen nicht bewusst. Sorgsam schmückst du dein Gerät mit schicken Hüllen und schaust es öfters an als deine Freundin oder deinen Freund. Du nimmst es überall mit: Auf die Toilette, ins Bett, in die Dusche, und – wie ich kürzlich beobachtet habe – ins verdammte Thermalbad!

 

Da stehst du da mit zombiehafter Apathie, dein Gesicht blau erhellt durch den Smartphone-Screen, und suchst den nächsten Dopaminkick, der durch Pseudohandlungen wie Likes oder verschickte Emojis entsteht.

 

Zeit, dass du dein Handy als das ansiehst, was es sein soll: Ein sehr nützliches Gerät, das Informationen liefert und nicht ein Totem. Diese Einsicht bewahrt dich davor, dein ganzes Leben auf Instagram und Facebook zu verscrollen.

 

Gastblogger Lorenz König macht was mit Medien und ab und zu was mit Musik. Seine Gedanken zum Gang der Welten veröffentlicht er auf dem Blog Boom-Town (https://medium.com/boom-town), sein Twitterhandle lautet: @lorenzkoenig

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«Public Domain»: Wem gehört Kultur?

Wer soll über kulturelle Werke verfügen: die Künstler und ihre Nachfahren oder die Allgemeinheit? Und wie soll man mit solchen Werken umgehen in Zeiten der Digitalisierung: Alles freigeben zum Download beziehungsweise Streaming oder doch lieber hinter den Vitrinen der Museen oder in den Kinosälen bewahren? An der Tagung «Public Domain» gingen Künstler, Kuratoren, Juristen und Internet-Advokaten diesen Fragen nach.

Die Diskussion schwenkte zwischen kühnen Visionen und konservativen Praxisbezügen hin und her.

 

Wem gehört Kunst? Der «Nefertiti Hack»

Wie unklar der Besitzanspruch von Kultur ist, macht das Künstler-Duo Nora Al-Badri und Jan Nikolai Nelles mit dem «Nefertiti Hack» deutlich. Ihr Projekt «The Other Nefertiti» demonstriert auf zwei Ebenen, wie westliche Museen Kunst in physischer Form und als Narrativ für sich beanspruchen. In Robin-Hood-Manier haben die beiden die Büste der Nofretete aus dem Neuen Museum in Berlin geklaut und der Allgemeinheit übergeben. Laut eigenen Angaben schmuggelten die Künstler dabei eine Kamera in den Nordkuppelsaal, in dem Fotografieren strengstens verboten ist, und erstellten damit einen 3D-Scan der Büste. Die daraus entstandenen Daten machten sie der Öffentlichkeit zugänglich, nun stehen sie der Welt zum kostenlosen Download bereit. Glaubt man den Künstlern, werden diese Daten von Nutzern weltweit verwendet, um ihre eigene Interpretation der Nofretete zu entwerfen.

 

Alles nur geblufft?

Ob Nora Al-Badri und Jan Nikolai Nelles die Daten wirklich von dem Original bezogen haben, in dem sie es mit einer versteckten Kamera gescannt haben, und ob die Nachahmungen durch die Netzgemeinde wirklich in dieser Fülle stattgefunden hat, lassen sie offen. Den beiden ging es wohl weniger um die realitätstreue Umsetzung ihrer Idee, als darum, eine Diskussion anzustossen. Diese dreht sich erstens um die eurozentrische Sicht von Kulturobjekten: Die Büste von Nofretete steht in einem deutschen Museum, weil dieses ägyptische Kulturerbe von deutschen Archäologen ausgegraben worden ist. Berechtigt dieser Umstand Deutschland dazu, über diesen Fund zu verfügen und die Deutungshoheit für sich zu beanspruchen? Zweitens geht um die Frage, wie öffentlich Museen wirklich sind: Das Museum ist ein öffentlicher Raum, der von der öffentlichen Hand gefördert wird, wieso also darf man die Ausstellungsobjekte nicht fotografieren und so in seinen Besitz nehmen?

 

Wenn Kunstwerke zu Daten werden: Potential und Gefahr

Das Beispiel «Nefertiti Hack» zeigt ebenfalls: Werke sind Daten-Rohstoffe. In digitalisierter Form werden Artefakte zu Fotos, 3-D-Scans, Filmen. Als solche Daten verbreiten sie sich entweder in ihrer Ursprungsform in Netz, oder dienen als Rohmaterial für Memes oder Photshop-Battles. So birgt kulturelles Erbe nicht nur ein grosses Potential für Künstler und Kulturinstitutionen, es bereichert auch Kunst-Fans auf eine neue Art.

Quelle: Slides Kathrin Passig

 

Es muss nicht immer das grossangelegte Museum-Projekt sein

Wie Kulturgut seinen Weg in den Alltag von Nutzern finden können, erfahren wir von Schriftstellerin Kathrin Passig, Kernaussage ihres Referats: In der digitalisierten Welt findet Kunst nicht nur in der räumlichen Institution statt, sondern auch dezentralisiert an den Smartphones oder Laptops einzelner Nutzer. Das fängt am beim Teilen der Bilder in den sozialen Medien an und endet bei deren Verwendung als Wallpaper für den Computer. Diese unspektakulären Kleinverwendungen schlagen keine grossen Wellen, noch sind sie von Museen initiiert.

Hier geht es nicht um grossangelegte Museumsprojekte, doch in dieser Form wird kulturelles Gut in die kleinste Verästelung der Gesellschaft getragen und neu interpretiert.

 

 Kontrollverlust durch Internet? Nein, danke

Die Hemmung der Kulturinstitutionen ist gross, erinnert uns Passig. Museen hätten kein Problem, wenn es um herkömmliches Merchandise geht, wie etwa eine Tasse mit einem Abzug der Mona Lisa. Sobald sich das Ganze aber ins Netz verlagert, bekämen die Verantwortlichen kalte Füsse. Für viele Museen fände Auseinandersetzung mit Kunst nach wie vor ausschliesslich innerhalb der Wände des Museums oder auf seiner Webseite statt. Das Museum wage keinen Kontrollverlust, keinen Raum für unvorhergesehen Dinge, meint auch Professor Axel Vogelsang im Abschlussreferat. Dabei gibt es gut Gründe, wieso Museen ihre Ausstellungen freigeben sollten, die Macher von KIM.bl zählen folgende:

  • Vermittlungsauftrag für das Kulturerbe
  • Förderung der Wissenschaft und Bildung
  • Erhöhung des Nutzens für andere (Medien, Kreativwirtschaft, Kunst)
  • Und nicht zuletzt machen sie Werbung für die eigene Sammlung. So kann das Museum von der verstärkten Sichtbarkeit der Werke profitieren, weil das Netz seine Sammlung hinaus in die Welt trägt.

Natürlich rufen diese Visionen auch Skeptiker auf den Plan: Filmjurist Marc Wehrlin gibt zu bedenken, dass sich das Urheberrechtsystem nicht einfach aushebeln lassen könne, was in diesem Szenario der Fall wäre. Auch der administrative Aufwand muss berücksichtigt werden, will man alle Rechteinhaber (Künstler, Besitzer, Fotograf, Agentur) miteinbeziehen. Stefan Bürer ermahnt die Anwesenden, dass Public Domain zwar Verfügbarkeit bedeute, aber noch lange nicht gratis sei: Infrastruktur, Wartung, Prozesse auf der einen und die Diskussion zwischen der Öffentlichkeit und der Politik seien beides hohe Kostentreiber.

 

Ein Hoch auf das Urheberrecht?

Eine Frage, die im Bezug zu ihrer Virulenz geradezu unterging, lautet: Was hat der Künstler davon, wenn sein Schaffen gratis zur Verfügung gestellt wird? Schliesslich muss er ja von seiner Arbeit leben können. Spätestens hier zeigt sich, dass das Urheberrecht nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, das den Ausdruck des Werkes schützt, das ohne Urheber nicht da wäre.

Die Tagung «Public Domain» fand am 24. April in Hochschule für Gestaltung in Basel statt. Sie ist eine Zusammenarbeit zwischen Migros Kulturprozent, Christoph Merian Stiftung, Präsidialdepartement Basel Stadt/, dem Haus der Elektronischen Künste.

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Abkupfern um jeden Preis: Innovation war gestern

Gerne bezeichnen sich Tech-Firmen als innovativ, doch anstatt komplett neue Produkte auf dem Markt zu lancieren, kopieren sie von der Konkurrenz. Weil der Gewinndruck gross und die Risikofreude klein ist, erfinden sie nicht mehr, sondern machen vorhandenes kundenfreundlicher.

Während früher Formate wie etwa Minidisc (RIP) oder Laserdisc (RIP) neben dominanten Datenträgern wie CDs oder VHS-Kassetten noch vorhanden waren, scheint heutzutage die Unterhaltungsbranche von der Musik bis zur Filmdistribution nur auf ein Medium zu setzten: Streaming. Zwar gibt es innerhalb des Streaming-Angebots Variation, zum Beispiel Streaming mit hoher Samplingrate, aber letztendlich setzt die Industrie auf ein und dasselbe Format. Es steht ausser Frage, dass Streaming gegenwärtig das Medium der Stunde ist und das aus gutem Grund. Keine andere Lösung zaubert gefragte Inhalte so elegant und unkompliziert auf das Smartphone wie Streaming. An Bord des Streaming-Dampfers sind erlesene IT-Unternehmen wie Apple, Amazon, Google (mit Youtube) und Spotify und alle bedienen sich an den Produkten der Konkurrenz.

Ein weiteres Beispiel, das zeigt, wie gerne sich Unternehmen bei den Mitbewerbern bedienen, findet man bei den Social-Media-Plattformen Facebook und Twitter. Facebook kopiert von Twitter (Livestreaming und Trending News), Twitter kopiert von Facebook (Filtern von Inhalten).

Produkte-Homogenisierung statt Vielfalt

Statt einer Vielfalt von Produkten entsteht eine Homogenisierung. Firmen scheinen sich lieber auf ein paar wenige Entwicklungen zu konzentrieren, statt eigene zu lancieren. Das passt nicht zusammen mit dem Innovationsstempel, den sich viele Firmen gerne selber aufdrucken. „Innovation“ scheint das Lieblingswort der Marketingabteilungen zu sein und hat einen festen Platz im Vokabular des Managements. Was aber steckt wirklich dahinter?

Nimm Vorhandenes und verbessere es

Um zu verstehen, wieso im digitalen Bereich mehr geklaut wird als selbst erfunden, muss man einen Blick in die Strategien der Firmen werfen. So hat sich Apple selten dadurch ausgezeichnet, dass sie ein komplett neues Produkt lancierte, vielmehr hat es dieses nutzerfreundlicher gemacht. Apple lancierte genau so wenig den ersten MP3-Player, wie Facebook das erste soziale Netzwerk oder Google die erste Suchmaschine. Die Herausforderung ist nicht mehr, von Grund auf ein Produkt neue zu erfinden, sondern bestehende Ideen so zu synthetisieren, dass die Kunden darauf abfahren. Imitieren ist Teil der Unternehmensstrategie, es geht nicht darum, wer das Feature erfunden hat, sondern wer es gewinnbringend einsetzt.

Innovation ist nicht mit Markterfolg

Firmen stehen konstant unter Druck, Gewinne zu erzielen und Innovation ist teuer. Somit entscheiden sich Firmen lieber dazu, Innovationen von Dritten in ihre Produktpalette einfliessen zu lassen. Für Apple liegt es auf der Hand, ein Abo-Streaming-Service anzubieten: das Unternehmen verzeichnet über 800 Mio. registrierte iTunes-Nutzer, wenn auch nur drei Prozent davon sich für den Streaming-Dienst Apple Music anmelden, hat der IT-Konzern mehr Kunden als Marktführer Spotify. Zudem kann Apple seine Erfahrung in Sachen User Interface zu seinem Vorteil nutzen.

Ähnlich ist es bei Amazon, das auch in den Virtual Reality (VR) Markt vordringt. Amazon machte bereits Investitionen in Games und Filme wegen seinen Produkten Kindle und Fire TV, daher ist es nur logisch, dass auch VR ins Petto gehört. Die Strategie ist also lieber abzuwarten und die Innovation bei Bedarf in das Produkteraster zu integrieren, denn die Risikofreude ist klein und der Gewinn-Druck ist gross.

Der Markt Ruft

Darüber hinaus gibt es auch Märkte, die ein gigantisches Potenzial für Firmen bergen, und sie sich auch ein Stück des Kuchens abschneiden wollen. Streaming und Virtual Reality sind beides Bereiche, die wachsen. Im Falle von Streaming bezahlen bereits 40 Millionen Menschen für einen Musik-Dienst und diese Nummer steigt jährlich um 50 Prozent. Amazon wiederum schätzt, dass der VR-Markt im Jahre 2020 30 Milliarden Dollar schwer sein wird. Da will natürlich niemand aussen vor stehen.

 

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Die Individualitätsuniform

Von allen Seiten schallt uns das Dogma der Individualität entgegen, doch scheinen wir nur bedingt darauf zu hören. Selbst die durch das Internet erhoffte Vielfalt scheint nicht viel daran zu ändern. Wieso nur?

Im Jahre 1984 verzückte Apple am Superbowl die Welt mit einem Werbe-Clip, der, in Anlehnung an George Orwells Roman 1984, ein Zeichen setzte gegen die graue, eintönige Welt des Konkurrenten IBM. Gut zehn Jahre später warb die Marke unter dem Claim «Think different» für ihre Produkte. Die Nachricht war klar: statt mit der Masse mitzugehen, sollen wir anders und individuell sein. Der Besitz von Apple-Produkten ist schon lange kein Statement mehr für Individualität – zumindest, wenn man die Nutzerzahlen ansieht: Im Jahre 2013 nutzte 20% der Schweizerinnen und Schweizer einen Mac. Die Botschaft der Individualität ist aber noch nicht von der Werbebildfläche verschwunden. Das Blog The Window On The Street  weist darauf hin, dass Marken wie Coca Cola, Toyota oder Seat in ihren Werbungen die Menschen auffordern, einzigartig und sich selbst zu sein. Auch H&M promotet in einem eineinhalbminütigen Werbe-Clip Individualität und zeigt alle möglichen Ausprägungen davon. Seien es in die Tage gekommene Rockstars wie Iggy Pop, Oversize Models oder Exponenten der Transgenderbewegung. Auch Esprit mischt mit einer ähnlichen Kampagne mit und in Fashion-Blogs liest man Sätze wie etwa:

«Individuality is very important because it makes people who they are. Fashion can sometimes help to express people’s true personality and character».

Werber sind Zeitgeistspürer und vom Anderssein als Lifestyle immer noch schwer angetan. Doch werfen die Individualismus-Apologeten einen Blick auf die Schweizer Strassen und Cafés, so trifft sie der Schlag: Kids mit schwarzen skinny-Hosen, weissen Nikes, Männer mit Bärten, Frauen mit Rucksäcken, vertieft in ihre Smartphones, hängen auf Facebook oder Instagram rum (ja, ich zähle mich auch dazu). Von Individualität ist da wenig zu sehen. Mag sein, dass Kennern die feinen modischen Unterschiede ins Auge fallen, aber trotz dieses Umstands wird man das Gefühl nicht los, dass hier eine gewisse Uniformität herrscht, ja sogar gewollt ist. Ist das nicht merkwürdig? Schliesslich geniessen wir hier im Westen mehr Freiheiten als je zuvor, sei dies hinsichtlich der politischen Gesinnung, sexuellen Orientierungen oder religiösen Haltung. Doch nicht nur das: Dank Internet können wir uns von Lifestyles und Trends aus allen Ecken dieser Welt inspirieren lassen – theoretisch. Per Mausklick sind die entsprechenden Gadgets, Accessoires, Schuhe oder Jeans innerhalb weniger Tage im Briefkasten – Amazon, Zalando und Co. sei Dank. Der Nischenmarkt war noch nie so gross wie heute, doch wir scheinen nur bedingt von diesem Angebot Gebrauch zu machen. Aus dem gigantischen Fundus an Auswahl und Optionen, den wir heutzutage haben, scheinen wir das zu wählen, was unsere Peers tragen, hören oder nutzen. Und das, obwohl uns Marketingkampagnen nahelegen, um jeden Preis uns selbst zu sein und den anderen grauen, herdengetriebenen Lemmingen und ihrem orwellschen Dahinwegetieren unseren einzigartigen Stinkefinger zu zeigen. Das Be-Yourself-Dogma dröhnt von Plakaten über den Starbucks-Cafés, den Samsung-Bildschirmen und aus den weissen iPhone-Kopfhörern. Ein Graben tut sich hier auf zwischen den Werten, die propagiert werden und denjenigen, die wirklich gelebt werden. Der Individualitätsbegriff verkommt zur Phrase. Wieso ist das so?

Die beiden Ökonomen George Akerlof und Robert Shiller (Phishing For Fools) konnten nachweisen, dass ein Unterschied zwischen dem besteht, was die Menschen angeben zu wünschen und dem, was sie wirklich konsumieren. Dabei führen sie als Beispiel das Verhältnis zwischen den Kardashians und den Medien auf. Viele Leute belächeln die Medien, weil diese konstant über die Kardashians berichten und schimpfen, dass sie zu wenig über Politik schreiben. Nur: Die Medien berichten über die Kardashians, weil sie wissen, dass die Leute über die Kardashians lesen wollen. Sie wissen, dass sie damit ein Bedürfnis der Leser stillen. Wirklich zur Kardashiansfaszination zu stehen scheinen allerdings die wenigsten. Wünschen wir uns also Individualität, leben sie aber nicht aus? Und wenn dem so ist, wieso konsumieren wir alle das gleiche und laufen in den ähnlichen Kleidern rum? Der Wire-Autor Chris Andersen hat im Jahre 2004 ein Buch mit dem Namen The Long Tail veröffentlicht. Anderson erklärt darin, dass das Internet den Nischenmarkt fördere. In einem New-Scientist-Artikel namens «Online shopping and the Harry Potter Effect» erklärt Richard Webb, dass das Internet entgegen aller Erwartungen nicht zu einer Nivellierung von Nachfragen führte. Anstatt dass sich mehr Menschen für verschiedene Waren und Kulturerzeugnisse zu interessieren beginnen, begeistern sie sich noch stärker für die gleichen Filme, die gleiche Musik und die gleiche Mode. Laut Webb liegt diese Entwicklung an den digitalen Reproduzierbarkeits- und Kommunikationsmöglichkeiten, welche schnelle und kurzlebige Trends setzen. Daraus resultiert eine «Homogenisierung des Geschmacks»:

«Easy digital replication and efficient communication through cellphones, email and social networking sites encourage fast-moving, fast-changing fads. The result is a homogenisation of tastes that boosts the chances of popular things becoming blockbusters, making the already successful even more successful».

Zudem seien wir überfordert mit der Auswahl an Produkten, deswegen schielen wir lieber mal rüber zum Kollegen oder der Freundin und schauen, was die tragen und nutzen. Dies ist eine Beobachtung, die sich auch Verkäufer zunutze machen: Der Marketingstrategie Social Norms liegt zum Beispiel die Annahme zugrunde, dass Menschen sich allelomimetisch verhalten, also ihr Verhalten beeinflusst wird von den Menschen, die sie umgeben.

Wieso finden wir also Individualität toll, leben sie aber nicht? Liegt es daran, dass unsere Geschichte geprägt ist von Unterdrückung anderer und der anschliessenden Emanzipation der selbigen, angefangen bei der französischen Revolution über die Bürgerrechtsbewegung bis hin zu der Legalisierung der Homoehe? Die Marketingabteilungen dieser Welt haben verstanden, dass Individualismus wohl immer noch einen wichtigen Wert für uns darstellt. Sie propagieren diesen – nicht, weil sie wollen, dass wir anders sind, sondern weil wir als Konsumenten darauf anspringen.

 

Gastblogger Lorenz König arbeitet als Social-Media-Berater und schreibt gelegentlich für die Neue Zürcher Zeitung. Unter dem Namen Larry King ist er in Basel als Dj unterwegs. Mehr dazu gibt’s hier.

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Die Sache mit dem kreativen Arbeiten. Wie man schöpferische Ideen umsetzt.

Kreativität hat Konjunktur. Das Kreieren von neuen, originellen Ideen ist längst nicht mehr ein Bereich, welcher Künstlern, Musikern, Autoren, Kuratoren oder Grafikern vorbehalten ist. Viel mehr erscheint es einem, dass für Kreativität mittlerweile nicht nur in der hintersten Ecke der Banker- oder Beamten- Büros ein Plätzchen reserviert ist. Auch scheint es, dass sich Menschen, die sich diese Eigenschaft nicht auf die Fahne schreiben, im Berufsleben hinten anstehen müssen. Be creative! ist die Lösung – und das nicht nur in der Berufswelt, sondern teils auch in der Politik, wie etwa während den Neunzigern in England.

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Nicht zuletzt haftet der Kreativität auch eine gewisse Sexyness an: Mit betontem Understatement aber innerlich geschwollener Brust erzählen Designer, Journalisten oder Werber über ihre prestigeträchtigen (berufliche) Tätigkeiten. Mit einem Blick auf die Geschichte des Kreativitätsbegriffs lässt sich nachvollziehen, wieso in unserer heutigen Gesellschaft die Entwicklung solch schöpferischer Fähigkeiten so erstrebenswert scheint. Früher waren es die Maler und Komponisten, denen man dank ihrer schöpferischen Gabe eine gewisse Nähe zu Gott attestierte. Sie durften Portraits der Könige fertigen, beziehungsweise Sinfonien für deren Feste oder zu deren Ehren schreiben. Spätestens nach der Industrialisierung wurde das Bild des kreativen Menschen von mondänen Malern und extravaganten Schriftstellern geprägt. Oft waren dies Menschen, welche dem Alkohol, Tabak und bewusstseinserweiternden Substanzen nicht abgeneigt schienen. Auch sie trugen (und tragen immer noch) dazu bei, dass diesen „auserwählten“ Menschen einen Nimbus anhaftet. Die Kreativen, so scheint es, arbeiten zwar, aber ihre Arbeit ist zu einem grossen Teil auch ihre Selbstverwirklichung. Für alle anderen klingt das natürlich äusserst reizvoll.

Doch was heisst kreativ sein in der Praxis? Ich habe zwei Artikel kurz zusammengefasst, die sich mit diesem Thema beschäftigen, in der Hoffnung, euren kreativen Alltag zu bereichern:

Dieser amüsant geschriebene und erhellende «Guardian»-Artikel basiert auf einer Studie über die Tagesgestaltung kreativer Leuchttürme wie etwa Ludwig van Beethoven, Benjamin Franklin oder Marcel Proust. Die Verfasser zogen sechs wichtige Erkenntnisse:

  1. Stets früh aufstehen: Es gibt natürlich Ausnahmen, doch der grösste Teil der im Buch analysierten Kreativen steht früh auf. Sei dies, um nicht gestört zu werden, oder weil sonst die Zeit für ihr Schaffen fehlt, da sie sich um die Familie sorgen oder zur regulären Arbeit müssen.
  2. Behalte deinen regulären Job: Wer neben seiner kreativen Tätigkeit einer regulären Arbeit nachgeht, lernt mit wenig Zeit umzugehen und trainiert seine Disziplin. Letzteres wirkt sich wiederum positiv auf das kreative Schaffen aus.
  3. Gehe regelmässig spazieren.
  4. Lege einen Tagesablauf fest und halte den Zeitplan ein: Egal ob Morgenritual, die Arbeit an einem Buch bzw. einem Song oder der Nachmittagsspatziergang: Der Tagesablauf soll so selten wie möglich geändert sondern so gut wie möglich eingehalten werden. Dadurch muss man sich nicht mit Fragen herumschlagen wie etwa: wann man wo arbeitet und hat somit mehr Gehirnschmalz für das kreative Denken übrig.
  5. Suche einen guten Umgang mit verschiedenen Substanzen, egal ob Kaffee, Vodka, Ritalin oder was es sonst noch so gibt.
  6. Lerne, an jedem Ort zu arbeiten. Eine der typischsten Prokrastinationsmethoden: den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort für die Arbeit zu suchen. Viele kreativ tätige Menschen arbeiten überall so gut es geht.

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Was ihr tun müsst, um auch angesichts einer anstehenden Deadline kreativ zu sein, erfahrt ihr hier. Die wichtigste Erkenntnis aus diesem Text ist wohl, dass das Warten auf die grosse Eingabe, den Geistesblitz, eine Mär ist. Kreative Arbeit erfordert, wie andere Jobs auch, Disziplin. Im Text wird daher empfohlen, nicht lange zu fackeln und einfach mit der Arbeit loszulegen. Dann kommen auch die schöpferischen Ideen.
Falls ihr, wie ich auch, viele Ideen aber Mühe habt, diese umzusetzen, findet ihr hier noch eine weitere Linksammlung von Artikeln zum Thema Produktivität.

Gastblogger Lorenz König arbeitet als Community Manager bei der Neuen Zürcher Zeitung. Zudem ist er unter dem Namen Larry King als Dj unterwegs. Mehr dazu hier

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