Ich bin Meister der mangelnden Selbstdisziplin. Ich bin darin dermassen gut, dass ich sogar Tätigkeiten aufschiebe, die mir Spass machen. Eine Suche nach einer Erklärung und Tipps für mehr Produktivität.
Dieser Blogpost ist das Resultat einer unerbittlichen Schlacht. Nein, sie fand nicht zwischen mir und den Leuten von eye love you statt. Gegeneinander angetreten sind ich und mein innerer Schweinehund – und wir haben uns nichts geschenkt.
Es ist Freitag, draussen scheint die Sommersonne und ich sitze motiviert in meinem Stamm-Café. Das Ziel heute: einen Text über Prokrastination zu schreiben. Und ich bin bereit. Die Kaffee-Tasse ist leergeschlürft, mein iPhone in der Tasche verstaut und ein blankes Schreibdokument leuchtet jungfräulich auf dem Display meines Laptops. Noch bin ich zuversichtlich, mein Ziel heute zu erreichen. Noch.
Handykabel entknoten statt schreiben
«Es ist erst 10 Uhr und der erste Satz braucht immer Zeit»,
denke ich und hole mir ein Glas Wasser, in der Hoffnung, dass mich ein hydriertes Gehirn weiterbringt. Die erhoffte Eingebung bleibt aber nach der Erfrischungspause – die eigentlich gar keine Pause war, weil ich noch gar nicht mit dem Arbeiten angefangen habe – aus. Ich starte den zweiten Versuch, bringe meine Finger in Position und fokussiere mich – doch schnell wandern meine Gedanken weg vom Thema Prokrastination hin zum Thema Essen. Ich hole mir also ein Gipfeli und fülle meinen Magen statt das Dokument. Es ist mittlerweile 10 Uhr 45 und das Laptop-Display leuchtet weiterhin leer vor sich hin. Mit Gipfelikrümel in meinem Bart und der davon laufenden Zeit im Blick lanciere ich Versuch Nummer drei, es folgen die Versuche Nummer vier und Nummer fünf. Alle scheitern. Denn egal ob der Instagram-Feed, der überprüft, die Spotify-Palylist, die angepasst, oder das Handykabel, das dringend entknotet werden muss: eine Ablenkung findet sich immer. Und so wird es Mittag und das Display leuchtet mich weiterhin weiss, herausfordernd und vor allem leer an.
Die «nur-noch-schnell»-Kunst perfektioniert
Prokrastinieren ist unproduktiv, prokrastinieren ist frustrierend und prokrastinieren ist etwas, das ich sehr gut kann. Ich habe die «nur-noch-schnell»-Kunst perfektioniert. Mein Schatz an Mikroaktivitäten, die ich stets als Alternativen zu relevanten Aufgaben ausgrabe, ist unerschöpflich. Aus psychologischer Sicht heisst das, ich strebe nach sofortiger Befriedigung («Instant Gratification») und scheitere an dem verdienstvollen, aber mit viel Selbstdisziplin verbundenen «Belohnungsaufschub». Anders gesagt: Ich lege superkurze Sprints zurück, die zu einem kurz anhaltenden Glückskick führen. Beim Marathon, der eine langfristige Genugtuung nach sich zieht, schaue ich in die Röhre.
Wieso um Himmelswillen prokrastiniere ich?
«Die Arbeit beginnt, wenn die Angst, nichts zu liefern grösser wird als die Angst, etwas schlechtes zu liefern»,
sagt der britische Schriftsteller Alain de Botton. Auch ich habe Angst, wenn ich vor dem Computer sitze oder wenn ich mich ins Studio begebe. Angst davor, an meinen eigenen Ansprüchen zu scheitern, Angst davor, ein schlechtes Feedback zu erhalten.
The emotional journey of creating anything great. pic.twitter.com/o9q1KTQFdo
— Vladimer Botsvadze (@VladoBotsvadze) July 9, 2018
Der Reiz des Marathons
Die zweite Frage, die ich mir im Zusammenhang mit Prokrastination stelle: Sind meine vermeintlichen Leidenschaften wie Musik machen und Schreiben vielleicht gar keine Leidenschaften? Schliesslich kosten sie mich ja Überwindung. Eine Frage, die man nur nach einem vollbrachten Werk und mit dem Blick in den Rückspiegel beantworten kann. Es ist das fantastische Gefühl, etwas erschaffen zu haben. Und das, in einem Bereich, der einem am Herzen liegt. Denn wenn das Dokument nicht mehr blank ist, sondern aus Titel, Lead und Absätzen besteht, wenn man auf “veröffentlichen” klicken kann und der Artikel online ist, dann merkt man einmal mehr, dass sich die Überwindung gelohnt hat und die Schlacht gegen den Schweinehund gewonnen und der Marathon bewältigt ist. Dann ist das Gefühl umso besser. Ich weiss, dass ich durch das Tal der Tränen gelaufen bin und als etwas grösserer Mensch auf dem Gipfel der Genugtuung angekommen bin.
Doing what you love is not always loving what you do. There’s an inherent sacrifice to it.
— Mark Manson (@IAmMarkManson) November 14, 2018
Get Shit done!
Anti-Prokrastinationstipps, zusammengestellt aus endloser Lektüre von Blogpost und Konsultation von Youtube-Videos.
- Die Deadline ist der einzige Freund der Kreativen. Setze dir eine Frist.
- Setze auf «better done than perfect» und fokussiere dich auf Prozess, nicht auf das Resultat: Im Rahmen eines Experiments erhielt eine Gruppe den Auftrag, so viele Töpfe wie möglich herzustellen. Die zweite Gruppe erhielt den Auftrag, den perfekten Topf zu produzieren. Das Resultat: Die erste Gruppe kreierte nicht nur mehr Töpfe, sondern auch die besseren.
- Breche deine Aufgaben in Häppchen herunter und nutze die Pomodoro-Technik: Teile die Aufgaben in 25-Minuten-Tranchen. Fokussiere dich während dieser Zeit nur auf diese Aufgabe. Anschliessend machst du fünf Minuten Pause.
- Kaum stehe ich vor einer Aufgabe, die meinen Arbeitsflow unterbricht, weil sie komplex ist oder ich sie als unangenehm empfinde, sucht mein Gehirn nach einer Ablenkung. Kommt dir bekannt vor? Der Grund liegt darin, dass dein Gehirn Gewohnheiten entwickelt, durchbreche sie.
- Last but not least: Meditiere und lerne dadurch Wachsamkeit.
Gastblogger Lorenz König macht was mit Medien und ab und zu was mit Musik. Seine Gedanken zum Gang der Welten veröffentlicht er auf dem Blog Boom-Town (https://medium.com/boom-town), sein Twitterhandle lautet: @lorenzkoenig
Hallo Lorenz
Ich wollte dir eigentlich sofort nach dem Lesen, mein Lob aussprechen aber dann kam das Leben dazwischen… 😉
Hier mein Lieblings-TED-Talk dazu:
https://www.ted.com/talks/tim_urban_inside_the_mind_of_a_master_procrastinator
“Good things come to those who procrastinate.” Tim Urban
“Better things come to those who accelerate – and get shit done.” Dirk Schilling
Bin selber Texter und auf Stellensuche derzeit. Wenn du was weisst oder mal ein Rauschen im Walde hörst…
Beste Grüsse
Dirk
Ha ha, – ja, kommt immer was dazwischen. Danke für die Blumen und den Link – als Prokrastinierer auf der Suche nach Erlösung bin ich auch schon drüber gestolpert. Viel Erfolg bei der Auftragssuche.
Lorenz